Essen. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) in Essen wird 30 Jahre alt. Der Vorsitzende Jörg Brinkmann ist seit Beginn dabei. Der 56-Jährige kennt so ziemlich jeden Radweg in Essen. Was hat sich aus Brinkmanns Sicht in den letzten drei Jahrzehnten für Fahrradfahrer in Essen geändert?
Jörg Brinkmann (56) hat 29 Jahre in Rüttenscheid gelebt, jetzt wohnt er in Borbeck. Er ist auch deshalb in den Westen gezogen, weil seit der Radtrasse „Rheinische Bahn“ Borbeck näher herangerückt ist an die Innenstadt. „Ich kann mit dem Rad die City gut erreichen, vor allem, seit der Abzweig Borbeck besteht“, berichtet Brinkmann. „So gesehen sind Radwege echte Standort-Faktoren.“
Brinkmann fährt mit einem Elektro-Rad und kennt so ziemlich jeden Radweg in der Stadt, er gehört zu den Gründungsmitgliedern des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC in Essen, der jetzt 30 Jahre alt wird. Seit 2002 ist er der Vorsitzende; im Stadtgebiet werden derzeit 750 Mitglieder gezählt.
Was hat sich aus Brinkmanns Sicht in den letzten drei Jahrzehnten getan, was die Bedingungen für Radfahrer im Stadtgebiet angeht?
Brinkmann über . . .
. . . positive Entwicklungen:
„Radfahren in Essen ist in den letzten 30 Jahren leichter geworden“, bilanziert der gelernte Kartograph. Es waren die 1950er und 1960er Jahre, in denen viele bestehende Radwege in Essen breiteren Straßen für Autos zum Opfer fielen. Bis ein Umdenken stattfand, weg vom Irrsinn der „Autogerechten Stadt“, vergingen in Essen mehr Jahre als anderswo, und 1984, dem Gründungsjahr des ADFC in Essen, war der Club erst mal auch nur eine Untergruppierung des ADFC in Dortmund.
„Zu Beginn der 1990er Jahre war der ADFC in Essen faktisch nur auf dem Papier existent“, erinnert sich Brinkmann, auch wenn andere Rad-Aktivisten sich schon seit Jahren in der „EFI“ tummelten, der „Essener Fahrradinitiative“, die aber ein loser Verbund bleiben sollte und wollte; kein Verein mit dem bundesweiten Bestreben, echte Lobby-Arbeit zu leisten.
Jedenfalls: 1991 erhielt Essen bekanntlich die „Rostige Speiche“ vom Bundes-ADFC, „das hat hier zum Umdenken geführt“, sagt Brinkmann. Die Folge: Einbahnstraßen wurden für Radler auch gegen die Fahrtrichtung geöffnet und die Benutzungspflicht für marode Radwege vielerorts aufgehoben. Das ist seit 1997 möglich. Das heißt heute konkret: Kein Radler muss sich über holprige Pisten quälen, von denen man gar nicht weiß, ob sie Parkstreifen sind oder Radweg. „Nur dort, wo ein blaues Schild ist“, klärt Brinkmann auf, „handelt es sich um einen Radweg, den man auch benutzen muss.“
. . . Rückschläge:
Die politische Wende in Essen im Jahr 1999, als CDU und FDP erstmals die Jahrzehnte alte Vorherrschaft der SPD brachen, bezeichnet Jörg Brinkmann als Negativ-Zäsur. „Viele Pläne für Radwege verschwanden in der Schublade, und es gab Radstreifen auf Straßen, die wurden wieder entfernt.“
Bis zuletzt, berichtet Brinkmann, sei es im politisch konservativen Stadtbezirk 9 (Werden, Kettwig und andere) nicht möglich gewesen, Einbahnstraßen für Radler gegen die Fahrtrichtung zu öffnen. „Das ist dort immer verhindert worden.“ Und erst jetzt, nachdem die SPD wieder an der Macht sei, würden alte Vorhaben realisiert – zum Beispiel in Borbeck.
. . . die Zukunft:
Auch, wenn das Radeln für Freizeitfahrer nicht zuletzt durch die Trassen des Regionalverbands und einen Ausbau des Hauptrouten-Netzes sehr viel besser geworden ist, wünscht sich Brinkmann, dass „das Alltags-Radeln künftig stärker ins Blickfeld gerät.“ Besonders im Westen der Stadt, findet Brinkmann, gebe es noch viel zu tun – die Holsterhauser Straße zum Beispiel sei Teil des Hauptrouten-Netzes, verfüge aber über keinerlei Radweg.
Ganz neu im Programm hat der ADFC den Service, dass Routen-Experten interessierten Bürgern erklären, wie sie am besten tägliche Strecken bewältigen können – mit gemeinsamen Routenproben vor Ort.