Essen. Nach sieben Jahren läuft turnusmäßig die Mitgliedschaft in der landesweiten “Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte“ aus. Verlängerung gibt es nur auf Antrag. Der Antrag ist mehr als nur eine reine Formalie.

Mehr als 70 Städte und Landkreise in NRW gehören zur „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte“, die Mitgliedschaft muss beantragt werden und währt dann sieben Jahre, und bis Ostern muss Christian Wagener den Antrag auf Verlängerung der Mitgliedschaft eingereicht haben, sonst darf sich Essen nicht mehr „fahrradfreundlich“ nennen.

Christian Wagener sitzt im Planungsamt der Stadt und ist ihr offizieller Radverkehrsbeauftrager. Herr Wagener, was schreiben Sie denn ‘rein in Ihren Antrag? „Das steht noch nicht fest“, sagt er, verweist aber darauf, dass in den letzten sieben Jahren schließlich „eine Menge passiert“ sei: Die Eröffnung der Radtrasse „Rheinische Bahn“ im Kulturhauptstadtjahr, und: „Bereits 252 Einbahnstraßen im Stadtgebiet sind für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet worden.“ Bei rund 500 Einbahnstraßen in Essen also gut die Hälfte. „Es hat keinen einzigen Unfall mit Personen-Beteiligung auf diesen Straßen gegeben“, sagt Wagener. Entsprechend hofft er, dass Essen auch für weitere sieben Jahre das Etikett „fahrradfreundlich“ tragen darf. Auch Ausblicke sollen in seinem Antrag stehen; Konkretes will Wagener aber noch nicht nennen.

"Eine Frage der Möglichkeiten im Haushalt"

Zu den Menschen, die entscheiden, ob Essen offiziell „fahrradfreundlich“ ist oder nicht, zählt Rolf Fliß, grüner Bürgermeister, Ratsherr und Vorsitzender der Essener Fahrrad-Initiative (EFI). Fliß gehört der Auswahl-Kommission an, die vom NRW-Verkehrsministerium einberufen wurde, um Städten das Signet „fahrradfreundlich“ zu geben - oder eben auch nicht. Herr Fliß, Sie müssen doch zuversichtlich sein, dass das klappt mit der Verlängerung, oder? – „Nö, kann man so nicht sagen“, sagt Fliß da, und meint, dass der Antrag eine „gewisse Ernsthaftigkeit“ erkennen lassen müsse. „Die Radwege, die entstanden sind, sind toll, aber es geht uns auch sehr um das Radfahren im Alltag.“ Heißt konkret: Die Rodenseelstraße müsse dringend ein Radfahrstreifen erhalten, als wichtige Verbindung zwischen Steele und Kray. „Das wird“, kündigt Fliß an, „eine Nagelprobe.“ Dringend notwendig sei auch eine Verlegung der Radstation in Kupferdreh direkt an den Fuß des neuen, höhergelegten Bahnhofs.

Jörg Brinkmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) vermisst Radfahrstreifen auf der Holsterhauser und Frohnhauser Straße; erkennt aber immerhin an, dass „der Wille der Stadt“ erkennbar sei, die Straßen radfreundlich zu gestalten. „Aber das ist natürlich auch eine Frage der Möglichkeiten im Haushalt.“

Wie ist Ihre Erfahrung? Schreiben Sie uns!

Wir suchen Erlebnisberichte von radelnden Essenern – sowohl positive als auch kritische Bürgerstimmen sind herzlich willkommen! Sind Sie zufrieden mit der Stadt als Radrevier? Wo sind gefährliche Ecken? Wo müssten dringend Radwege hin, und was ist Ihnen auf dem Rad noch alles aufgefallen?

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Albert Hölzle, Aktivist beim regionalen Radfan-Netzwerk „Velocity Ruhr“, hält Essen für „nicht sehr fahrradfreundlich“, erkennt aber an, dass es „punktuell“ gute Verhältnisse gibt.

Hier streiten zwei Redakteure

Als wir in der Redaktion die Frage diskutierten, wie fahrradfreundlich die Stadt wirklich ist, wurden sich zwei Kollegen nicht einig. Beide wissen, wovon sie sprechen, denn sie steigen fast täglich aufs Rad – auch im Winter. Wir dokumentieren ihr Streitgespräch.

Spletter: . . . aber Du musst doch bedenken, dass seit der Verleihung der ,Rostigen Speiche’ 1991 total viel passiert ist! Essen war noch nie so fahrradfreundlich wie heute!

Wandt: Fahrradfreundlich? Wenn ich über die Friedrich- oder über die Alfredstraße fahre, bin ich froh, wenn ich lebend ankomme. Die Autofahrer hier betrachten Fahrräder vor allem als Störfaktor.

Spletter: Fehlendes Bewusstsein kann man doch der Stadt nicht zum Vorwurf machen, höchstens den Autofahrern!

Wandt: Die Stadt sieht Radler vor allem als Hobbysportler, die sich auf alten Bahntrassen austoben sollen. Im echten Straßenverkehr sind sie unerwünscht – sonst fände sich auf mehrspurigen Verkehrsachsen auch Platz für Radwege.

Spletter: Stimmt, aber Du kannst eine Großstadt nicht von heute auf morgen umkrempeln.

Wandt: Aber Du könntest längst viel mehr Leute zu Radfahrern machen, wenn sie nicht fürchten müssen, ein Blutopfer zu bringen. Wer traut sich schon in die Unterführung an der Schützenbahn?

Spletter: Ich! Okay, ich bin aber auch der einzige, glaube ich.

Wandt: Für mich ist es ein Angstraum! Ich will Essen ja nicht mit der Radstadt Münster vergleichen, aber selbst Berlin macht es Radlern leichter. Essen könnte höchstens für einen neuen Rad-Trendsport werben: Survival of the fittest.