Essen. . Im Schnitt wirft jeder Essener jährlich mehr als 80 Kilogramm Lebensmittel in die Tonne. Die Initiative Foodsharing will das ändern und sammelt abgelaufenes oder überschüssiges Essen. Die Waren werden anschließend kostenlos verteilt. In Essen gibt es zwei Standorte.

Sie wühlen in Containern und Obstkisten und zwar für einen guten Zweck. Rund 20 Essener haben sich der Initiative Foodsharing angeschlossen – ein neuartiges, bundesweites Phänomen. Ziel der Kampagne ist es, die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren, indem man kürzlich abgelaufenes oder überschüssiges Essen an öffentlichen Plätzen kostenlos verteilt. Daniel Gugitsch ist einer der freiwilligen Helfer, die einen kleinen Kühlschrank auf dem Gelände der Universität Essen mit Lebensmittel bestücken. Der 36-Jährige lehnt an seinem Fahrrad und dreht sich eine Zigarette. Er spricht leise und vermeidet schnelle Bewegungen. Doch wenn man ihn nach seinen Motiven fragt, erhebt er kurz seine Stimme: „Wir machen das, weil wir es hassen, Lebensmittel wegzuwerfen.“ Ein paar Minuten später schreitet der Künstler und Videojournalist gemächlich zum Gebäude des Allgemeinen Studierendenausschuss – kurz AStA.

Auf dem fensterlosen Flur brennen nur noch zwei Lampen. Und auch wenn die Fotos einen anderen Eindruck machen, ist die hellste Lichtquelle im Raum noch immer die kleine Leuchte im leise vor sich hin brummenden Kühlschrank. Michael Monheimius kniet davor und durchstöbert die halb vollen Fächer: Salat, Lauch, Gurken, Saucen und tiefgefrorenes Brot, dazu ein paar Konserven. Nur zwei Meter weiter lagern jede Menge Brötchen, Äpfel, Erbsen und sogar ein Sack voll Vogelfutter. Der 27-jährige VWL-Student entscheidet sich nach kurzem Zögern gegen die Leberpastete und steckt zwei Brötchen und zwei Äpfel in seine Tasche. Bezahlen muss er dafür nichts. Seit zwei Wochen geht der Essener zum sogenannten Fairteiler. Den Tipp dazu hat er von einem Kommilitonen bekommen. „Ich finde es schrecklich, welche Unmengen an Lebensmitteln weggeschmissen werden. Alleine verbrauche ich nicht so viel und hier kann ich mir auch nur einen halben Salat nehmen.“

Verabredung zum gemeinsamen Kochen

Monheimius Aussage könnte auf einem Werbeprospekt stehen, denn sie fasst die Idee von Foodsharing zusammen: 30 Prozent aller Lebensmittel landen im Müll, so die Macher auf ihrer Internetseite. Daher soll man nicht mehr benötigtes Essen auf der Internetseite der Initiative melden oder direkt zu einem der zwei Fairteiler im Stadtgebiet bringen. Ein weiterer Punkt ist der Gemeinschaftsaspekt, denn wer zusammen kocht, produziert weniger Abfall. „Du bist auf dem Weg nach Hause und dir fehlt noch Käse? Es ist Sonntag und dir fehlen zwei Eier fürs Kuchenbacken? Auf Foodsharing findest du verfügbare Lebensmittel in deiner Umgebung“, werben die Initiatoren auf ihrer Facebookseite. In dem Sozialen Netzwerk hat die Initiative bald 65.000 Fans. Der Essener Ableger zählt derzeit 320 „Gefällt mir-Klicks.“

„Meiner Meinung nach hat es hier niemand wirklich nötig“, urteilt Daniel Gugitsch über die Kundschaft auf dem Uni-Campus. „Viele Studenten berichten uns, dass sie es bewusst machen, einfach aus Überzeugung.“ Das gleiche dürfte wohl auch für ihn gelten, denn es bedarf schon einer gewissen Portion an Überzeugung, um in der aussortierten Ware eines Supermarktes nach brauchbaren Sachen zu suchen. Gugitsch und seine Mitstreiter haben eine Vereinbarung mit einem Biomarkt an der Rüttenscheider Straße getroffen. Dreimal in der Woche öffnet ihnen ein Mitarbeiter die Tür zum Lager. Zwei vorher angemeldete Vertreter der Food-sharing-Gemeinde erhalten dann Zugang zum Betriebsgelände und sind dadurch auch rechtlich auf der sicheren Seite. Im Gegenzug kann der Händler seine Abfallmenge deutlich reduzieren und so Zeit und Geld sparen.

Die selbsternannten Lebensmittelretter stehen also vor der Aufgabe, die genießbaren von den wirklich abgelaufenen Dingen zu trennen. Das Licht im Kühlhaus ist nicht viel besser, als das auf dem Flur des AStA. Dazu kommen die Kälte und der Geruch von Eis. Auf der einen Seite lagern die neuen, frischen Produkte, die gerade erst angeliefert worden sind. Gegenüber stehen Holzkisten mit fleckigen Bananen, krumm gewachsenen Gurken oder falsch beschrifteten Ketchupflaschen. Gugitsch schätzt, dass auf diese Weise 30 bis 35 Kilogramm Lebensmittel vor dem sicheren Weg in den Mülleimer bewahrt werden können – pro Woche. „Der Händler kann diese Sachen nicht mehr verkaufen, weil das Verfallsdatum überschritten ist oder irgendetwas nicht exakt der EU-Norm entspricht. Insofern nehmen wir dem Supermarkt Arbeit ab. Bei den großen Ketten wäre das schon aus Sicherheitsgründen gar nicht möglich. Aber hier ist das so eine Art Vertrauensding.“

Kein Fisch, kein Fleisch, keine Eier

Auch die Nahrungsaufnahme ist eine Frage des Vertrauens. Denn ganz ehrlich: Wer würde schon einen drei Tage alten Nudelsalat essen, den ein Unbekannter kostenlos im Internet anbietet? Die Gemeinde der Essensteiler hat sich deshalb Regeln auferlegt, denen jeder zustimmen muss, der sich auf www.foodsharing.de anmeldet. „Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir das Anbieten und Teilen bestimmter Lebensmittel und anderer Waren aus rechtlichen Gründen nicht gestatten“, heißt es gleich im Einleitungstext. „Verderbliche Lebensmittel wie Fisch, Geflügel, Fleisch, rohe Eierspeisen und zubereitete Lebensmittel sowie Medikamente“ sind verboten. Aber auch alle anderen Speisen sind auf ihre tatsächliche Haltbarkeit zu prüfen, schließlich habe man „ein gutes Auge und eine feine Nase.“

Daniel Gugitsch sieht daran auch einen entscheidenden Unterschied zur Essener Tafel. „Wir sind keine Konkurrenz. Wir bieten keine kompletten Mahlzeiten und wir haben eine andere Zielgruppe.“ Tatsächlich kennt das Foodsharing-Konzept keine feste Speisekarte. Angeboten wird das, was verfügbar ist. Auf der Internetseite der Initiative ploppen täglich neue Meldungen auf. Am Freitag wollte jemand eine Packung Pfefferminzbonbons verschenken. Jemand anderes hatte 35 Gramm Nelken übrig. „Unser Ziel lautet Nachhaltigkeit“, sagt Gugitsch, wieder an seinem Fahrrad lehnend. „Das gilt auch für den Betreiber unseres zweiten Standorts.“ Gemeint ist die Druckertankstelle an der Klarastraße in Rüttenscheid.