Essen/Mülheim. Der Film, der am Freitagmorgen im Filmstudio Glückauf in Essen gezeigt wurde, hat weder Spannungsbogen noch Dialoge, die Handlung ist äußerst überschaubar. Doch am Ende wird das Publikum applaudieren: Den demenzkranken Zuschauern gefällt der ruhige Film.

Vor dem Filmstudio Glückauf parken an diesem Freitag ein Dutzend Rollatoren, und im Saal sitzen Menschen, die (fast) so alt sind wie das 1924 eröffnete Kino. Gezeigt wird ein Film ohne Dialoge, ohne Spannungsbogen und mit kaum Handlung. „Eine Wanderung in den Bergen“ zeigt genau das: Ein Mann und eine Frau wandern gemeinsam durch die Alpen. Am Ende wird das Publikum applaudieren.

Denn bei dem 56-minütigen Film handelt es sich nicht etwa um eine cineastische Fehlleistung, sondern um ein Werk, das auf seine Zielgruppe zugeschnitten ist. Die alten Menschen im Zuschauerraum sind demenzkrank. „Eine rasant erzählte Geschichte, schnelle Schnitte – dem können sie nicht mehr folgen“, sagt Katrin Neuhäuser, Pressesprecherin beim Mülheimer Verlag an der Ruhr. Der kommt aus dem Bildungsbereich und bietet neuerdings Titel zum Thema Altenpflege an.

Kritisches Publikum aus zwei Städten

Bei Besuchen in Seniorenheimen habe man festgestellt, dass das Fernsehprogramm die dementen Zuschauer regelmäßig überfordere. So entstand die Idee zu dem Film, der vor allem Erinnerungen wecken soll an Urlaube in den Alpen. Die gehören zum kollektiven Gedächtnis der Generation; doch für Demenzkranke wären schon Heimatfilme mit Luis Trenker pure Reizüberflutung.

Für die Premiere von „Eine Wanderung in den Alpen“ hat man daher ein kritisches Publikum eingeladen und alle Seniorenheime in Essen und Mülheim kontaktiert: Gekommen sind am Freitagmorgen 180 Demenzkranke, dazu Pflegepersonal und Angehörige. Als das Licht im Saal ausgeht, verweilt die Kamera lange auf einem Alpenpanorama, bevor ein junger Mann auftaucht, der bedächtig seine Wanderschuhe schnürt. Kaum zehn Minuten später ist die Brotzeit gepackt und er bricht mit seiner Begleiterin auf; beide in zünftiger Tracht.

"Film hat die richtigen Reize geliefert"

Das Paar ist nie in Nahaufnahme zu sehen, es soll den Zuschauern nur als Projektionsfläche dienen, das Versinken in vergangene Zeiten erlauben. Also schweigen die Wanderer, die Zither spielt alpenländische Musik. Etwas aufdringlich findet Volker Sperlich (77) den Klangteppich: „Aber ich glaube, meiner Frau gefällt der Film, weil er so ruhig ist. Wir können sonst nicht ins Kino gehen – da ist ihr alles zu hektisch.“

In „Eine Wanderung in den Bergen“ sorgt der Auftritt einer Katze für Aufregung, das Balgen zweier Murmeltiere für Begeisterung. Als der Kuckuck ruft, kommt ein vielstimmiges Echo aus dem Publikum, bis jemand brummelt: „Nu, is’ gut!“

Da ist auch schon Pause, und es soll gemeinsam gesungen werden: „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Mag viel verschüttet sein bei den alten Menschen, hier sind sie textsicher. „Der Film hat die richtigen Reize geliefert: Das Plätschern des Gebirgsbaches, Vogelstimmen, Muhen, Kuhglocken – unsere Bewohner reagieren auf diese Geräusche“, sagt Elisabeth Settels, Pflegedienstleiterin im St. Engelbertus-Stift in Mülheim. Der Altersfreigabe Ü 80 steht nichts im Weg.