Essen/Dorsten/Köln. . Ein im Internet veröffentlichtes Video eines Blaulicht-Reporters von einem schweren Frontal-Crash in Dorsten beschäftigt die Justiz in Essen. Das Unfall-Opfer fordert 10.000 Euro Schmerzensgeld von den Produzenten des Films. Sein Anwalt spricht von „gewerbsmäßiger Leichenfledderei mit der Kamera“.

Den 20. Mai dieses Jahres wird ein Dorstener so schnell nicht vergessen. Am hellichten Tag ist der Autofahrer mit einem schweren Geländewagen auf dem Tüshausweg verunglückt und frontal in einem Baum gekracht. Die Feuerwehr muss den Mann aus dem Auto schneiden. Mit lebensgefährlichen Verletzungen wird er in ein Krankenhaus gebracht. Es gibt nach Angaben der Recklinghäuser Polizei keine Hinweise auf Alkohol- oder Drogenmissbrauch vor der Kollision, auch das Auto weist keinen technischen Defekt auf. Warum es zu dem Frontalunfall kam, ist bislang ungeklärt. Dabei ist die Geschichte des Mannes längst nicht abgeschlossen, die Kollision vom Mai hat ein seit Wochen dauerndes juristisches Nachspiel. Das Unfall-Opfer und die Unglücksstelle sind nach dem Crash und während der Bergung des Verletzten von einem Reporter gefilmt worden. Dagegen geht der Dorstener vor. Mittlerweile ist die Sache als Zivilverfahren beim Essener Landgericht anhängig. Eine Entscheidung könnte Präzedenz-Charakter haben.

Am Tag nach dem Crash sei sein Mandant in der Klinik angesprochen worden, sagt der Kölner Rechtsanwalt Ralf Höcker, der den Dorstener vertritt: ,Du und dein Unfall sind im Internet’, erzählten ihm Besucher am Krankenbett. Für den Mann muss das ein zweiter Schock gewesen sein. Dokumentiert hatte den Unfall und seine Folgen ein Mitarbeiter einer in Essen ansässigen Produktionsfirma, die auf solche Bilder spezialisiert ist. Das Video steht noch am gleichen Tag im Internet, und auch noch etliche Tage danach. Auch für die daraus gezogenen Bilder vom Unfallgeschehen finden sich Abnehmer in den Medien. Anwalt Höcker empört sich: „Das letzte, was Unfallopfer brauchen, ist ein Fotograf, der auf wundersame Weise noch vor den Rettungskräften am Unfallort ist und erst einmal mit der Kamera draufhält.“

Außergerichtlichter Zahlungs-Aufforderung nicht nachgekommen

In juristischem Sinne geht es im konkreten Fall um die Art und Weise, wie und was gefilmt worden ist: Das Material lasse eindeutige Rückschlüsse auf seinen Mandanten zu, sagt Höcker. Über die Kleidung, über Teile des Körpers, über Details wie eine Armbanduhr oder Schuhsohlen und -größe und nicht zuletzt über die Bilder des Autos inklusive Fabrikat und nicht gepixeltem Kennzeichen. Die Persönlichkeitsrechte seines Mandanten seien eklatant verletzt worden, schlussfolgert Höcker.

Vor dem Essener Landgericht haben das Unfall-Opfer und sein Anwalt inzwischen einen ersten Erfolg in dem Rechtsstreit erzielt. Die 4. Zivilkammer teilt die Ansicht des Klägers: Unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro dürfen Bilder des Unfall-Geschehens vom 20. Mai und des -Opfers nicht mehr veröffentlicht werden. Zu Beginn der juristischen Auseinandersetzung war das Video bereits aus dem öffentlich sichtbaren Bereich im Internet entfernt worden.

Beendet ist der Rechtsstreit damit nicht: Weil die Blaulicht-Produktionsfirma einer außergerichtlichen Aufforderung zur Zahlung von Schmerzensgeld an das Unfall-Opfer in Höhe von mindestens 10.000 Euro nicht nachgekommen ist, wird sich erneut eine Kammer am Essener Landgericht mit dem Fall befassen und ein Urteil sprechen müssen.

„Niemand will solche Bilder von sich oder seinen Angehörigen sehen“

Das Geschäftsmodell, aus dem Leidwesen anderer Kapital zu schlagen, hält Medienanwalt Höcker für „widerlich“: „Das ist gewerbsmäßige Leichenfledderei mit der Kamera.“ Das ist die moralische Komponente dieses Falls: „Niemand will solche Bilder von sich oder seinen Angehörigen in der Öffentlichkeit sehen.“ Geklickt, verkauft und veröffentlicht werden sie dennoch. Nach Recherchen von Höckers Kanzlei ist das Video vom Unfall in Dorsten allein in der ersten Woche nach der Veröffentlichung über 3000 mal im Internet abgerufen worden.

Auch Redaktionen der Funke Mediengruppe publizieren Fotos und Videos von Blaulicht-Reportern, um Unglücke und Unfälle zu bebildern. Dabei wird in der Regel allerdings das angebotene (Roh-)Material nachbearbeitet, werden Gesichter oder Kennzeichen unkenntlich gemacht, wird auf eine sorgsame Auswahl der Motive geachtet.

Das beklagte Essener Unternehmen lässt sich ebenfalls durch eine Anwaltskanzlei vertreten. Sie nimmt zum Fall allerdings keine Stellung und verweist auf das laufende Verfahren.