Essen. Die Stadttochter RGE muss ihre Betriebsratsratswahl wegen Formfehlern wiederholen. Nicht die einzige Merkwürdigkeit in einer Firma, in der zum Beispiel Geschäftsführer und Betriebsratschef Brüder sind. Verdi-Vorwurf: Die städtische Gesellschaft sei in eine Art Familiendomäne umgewandelt umgewandelt worden.
„Grobe und offensichtliche Verstöße gegen die wesentlichen Grundsätze des gesetzlichen Wahlrechts“, hatte die Gewerkschaft Verdi der städtischen Reinigungsgesellschaft RGE wegen der Umstände der Betriebsratswahl vom 26. März vorgeworfen. Eine Meinung, die das Arbeitsgericht Essen offenbar teilte.
Die fünfte Kammer unter Vorsitz von Richterin Claudia Hagedorn erklärte jüngst die Betriebsratswahl bei der 100-prozentigen städtischen Tochter per Beschluss für unwirksam. Es ist wohl nur das vorläufige Ende einer Auseinandersetzung, hinter der mehr steckt als nur der Streit um Regularien. Es geht um nichts weniger als den Verdi-Vorwurf, der Geschäftsführer der RGE, Klaus Wieschenkämper, habe die städtische Gesellschaft in eine Art Familiendomäne umgewandelt, in der auffallend viele Menschen Posten bekleiden, die mit Wieschenkämper privat verbunden sind.
Das Kreuz an "der richtigen Stelle"
„Wir freuen uns über die Entscheidung des Gerichts und dass die Wahl nun wiederholt werden muss“, wird Martina Peil vom Verdi-Fachbereich „Gemeinden“ in der Onlineausgabe des Essener Monatsmagazins „Informer“ zitiert, das den gesamten Vorgang als erstes Medium auf der Agenda hatte. Die Gewerkschaft kritisierte unter anderem die nicht ordnungsgemäße Wahl des Wahlvorstands, die zu späte Bekanntmachung des Wahlausschreibens, das fehlende Losverfahren bei der Zuteilung der Ordnungsnummern für die Vorschlagslisten, fehlende Übersetzungen des Wahlausschreibens in andere Sprachen und die Anordnung einer Briefwahl für sämtliche RGE-Mitarbeiter, obwohl das Gesetz dies nur in begründeten Ausnahmen zulasse.
RGE ist Dienstleister für Reinigung, Sicherheit und Catering
„Beziehungen zwischen Unternehmen oder Menschen, Kunden oder Mitarbeitern, beruhen auf einer verlässlichen Basis“, heißt es auf der Onlineseite der RGE. Wegen des Vorwurfs familiärer Verquickungen wirkt das unfreiwillig komisch. 1998 als privatrechtlich organisierte städtische Tochtergesellschaft gegründet, erbringt die RGE Dienstleistungen, die zuvor Stadtämtern oblagen: Reinigungen für die Gebäude der Stadt und ihrer Töchter, ferner Objektschutz und Empfangsdienste. Inzwischen hat man auch einen großen Catering-Bereich.
Aus einer Produktionsküche, die täglich bis zu 5000 Essen erstellen kann, erfolgt beispielsweise die Verpflegung für 100 Schulen und 14 städtische Kitas. Die RGE besorgt aber auch das Catering für das Stadion an der Hafenstraße und bietet ihre Dienste generell auch Privaten an.
Was die Richterin ebenfalls stutzig machte: Verdi glaubt, dass mindestens eine Mitarbeiterin in ihrer Wahl „beeinflusst“ worden sei. So habe die Objektleiterin im Reinigungsbereich, Cornelia Niederstebruch, einer gerade neu eingestellten ausländischen Beschäftigten „geholfen“, das Kreuz an „der richtigen Stelle“ zu machen. Dafür hält Verdi eine Zeugin parat. Das Geschmäckle liegt aber wohl eher darin, dass Niederstebruch die Lebensgefährtin von Betriebsratschef Andreas Wieschenkämper ist - und der ist wiederum der Bruder von RGE-Geschäftsführer Klaus Wieschenkämper. Und damit ist man auch schon mittendrin im Kern der ungewöhnlichen RGE-Personalverflechtungen, die es in dieser merkwürdigen Form bei einem Unternehmen nicht allzu oft geben dürfte.
Bruder-Kontrolle im Aufsichtsrat
Andreas Wieschenkämper steht übrigens nicht nur dem Betriebsrat vor, er ist zugleich stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats. Und soll in dieser Funktion seinen eigenen Bruder überwachen. Nachdem der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Harald Hoppensack, der lange auch dem Rat der Stadt angehörte, wegen eines umstrittenen Beratervertrages bei den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE) zurücktrat, übte Andreas Wieschenkämper sogar für einige Zeit die Befugnisse des Vorsitzenden aus.
Neben seiner Lebensgefährtin Niederstebruch sind laut Verdi mindestens drei weitere Familienmitglieder, allesamt Schwager des RGE-Chefs, in zum Teil führenden Positionen tätig: Dirk Smolka leitet den Reinigungsbereich der RGE, ein weiterer Schwager arbeitet in der Personalabteilung. Er sei zuvor Schulhausmeister gewesen. Ein dritter Schwager ist ebenfalls in leitender Funktion tätig – bei der „Akuras GmbH“, an der die RGE und die „octeo Multiservices GmbH“ jeweils 50 Prozent der Anteile halten. Hier ist wiederum RGE-Chef Klaus Wieschenkämper einer von zwei Geschäftsführern. Essens Verdi-Geschäftsführer Lothar Grüll kann sich Spott nicht verkneifen: Die RGE sei „Essens größter kommunaler Familienbetrieb“. Mitarbeiter, die mit Arbeitsbedingungen unzufrieden seien oder sich über Vorgesetzte beschweren wollten, hätten es schwer, ein offenes Ohr zu finden – das nicht mit dem Geschäftsführer in privaten Beziehungen verbunden sei.
Auf WAZ-Anfrage erklärte das Sekretariat von Klaus Wieschenkämper gestern, der Chef sei in Urlaub und nicht zu sprechen. Auch im Betriebsratsbüro bei Bruder Andreas gab es keine Auskunft.