Essen. . Die geschrumpfte RWE-Dividende und ein Steuerproblem bescheren der städtischen Firmen-Holding EVV hohe Verluste. Oberbürgermeister Reinhard Paß will davon nichts wissen und klinkt sich aus.

Wenn sie in der Wirtschaft neuerdings so oft die „versteckten Meister“ feiern – die EVV wäre auch so ein Kandidat: Nur die wenigsten kennen das städtische Firmenkonstrukt, das da unauffällig am nördlichen Ende der Rüttenscheider Straße residiert, und „Essener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH“, die Langfassung des Kürzels, macht einen ja auf den ersten Blick auch nicht unbedingt schlauer.

Dabei steht dahinter ein Unternehmensgeflecht, das seit nunmehr 33 Jahren lukrative Arbeit für die Stadt leistet: In der EVV werden die gewinnträchtigen Aktivitäten städtischer Tochterfirmen wie Stadtwerke, Allbau und Co. samt der Dividende aus den Essener RWE-Aktien mit dem Minus des notorischen Verlustbringers Evag und anderen verrechnet, um auf diese Weise Steuern zu sparen.

Im Zuge zunehmender Bündelung entstand quasi nebenbei auch ein Machtzentrum abseits des Rathauses – geführt vom einstigen Stadtdirektor Bernhard Görgens (CDU). Das ist manchem in der Politik, wenn schon nicht ein Dorn im Auge, so doch Grund dafür, dem Treiben dort mit einer gehörigen Portion Misstrauen zu begegnen.

Die kommunale Familie hat gepatzt

Erst recht, weil der Eindruck, bei städtischen Töchtern arbeite und lebe es sich irgendwie kommoder als in der Kernverwaltung, weiter gepflegt wird. Wenigstens blechen sollten sie deshalb bei der EVV, 20 Millionen Euro und mehr pro Jahr an den schwindsüchtigen Stadt-Etat abliefern, und zwar „unabhängig von der RWE-Dividende“.

Nun ist es aber so, dass auch bei der EVV der Sparkurs angekommen ist, was die Aufsichtsräte schon daran merken, dass sie bei Sitzungen bis nach Büroschluss mangels Pförtnerdienst gezwungen sind, durch den Keller nach draußen zu kommen. Das aber sind die berühmten „Peanuts“ gegen den tiefen Fall der RWE-Dividende, die von üppigen 3,50 auf 2,00 Euro schrumpfte und so Millionen-Einbußen bescherte. Hinzu kommt das Problem, dass die Gewinne der Stadtentwässerung im Rahmen des steuerlichen Querverbundes neuerdings nicht mehr berücksichtigt werden. Da habe, so raunt man sich nicht nur in Essen zu, „die kommunale Familie bei der Steuergesetzgebung nicht aufgepasst“.

Keine Probleme mit einem Ja zum Wirtschaftsplan 

In der Gewinn- und Verlustrechnung der EVV führt all dies dazu, dass unterm Strich neuerdings nicht mehr satte schwarze, sondern dicke rote Zahlen stehen: Knapp 12,2 Millionen Euro Minus sieht der Wirtschaftsplan fürs laufende Jahr vor, zwischen 16,4 und 17,2 Millionen sind es jeweils in den kommenden vier Jahren.

Das städtische Beteiligungsmanagement zeigte sich dieser Tage „enttäuscht“, zuckt aber mit den Achseln: „Zutreffend ist“, schreibt dessen Chef Patrick Schwefer, dass die Hauptfaktoren für die Entwicklung „einer Einflussnahme durch die Geschäftsführung weitestgehend nicht unterliegen“. Dass diese Effekte nun dafür sorgten, dass die Sparvorgaben deutlich verfehlt werden, „ist unbefriedigend, muss aber letztlich von der Gesellschafterin akzeptiert werden“.

Die Gesellschafterin, das ist zu 100 Prozent die Stadt, und der Chef der Stadt, ist der Oberbürgermeister, aber der hatte die Empfehlung aus seinem eigenen Hause entweder nicht gelesen oder aber nicht akzeptieren wollen, jedenfalls mochte Reinhard Paß am vergangenen Donnerstag seinen Segen für den EVV-Wirtschaftsplan partout nicht geben: Da müsse einfach mehr drin sein, so zitieren ihn Teilnehmer der Sitzung, die den Wirtschaftsplan eigentlich beschließen wollte.

Was da mehr zu holen sein sollte, wusste nicht einmal das Beteiligungsmanagement zu sagen, das keine Probleme mit einem Ja zum Wirtschaftsplan hatte. Schwefer zählte nur ein paar Klassiker der Sparkunst auf: Noch mal ran an die Immobilien, Synergien in der Zusammenarbeit heben, vielleicht das eine oder andere Geschäftsfeld aufgeben und verkaufen... Da wurden dann, kein Wunder, wiederum die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat hellhörig. Droht eine neue Privatisierungswelle?

Einfach nicht mitgemacht

Das nun wiederum auch nicht, aber was dann?

OB Paß warb für einen Aufschub, erledigen durch liegenlassen. Grund: Wenn der Wirtschaftsplan offiziell beschlossen wird, müssen seine Zahlen auch Eingang in den neuen Haushalt finden – und in jenes Sparpapier, das die Stadt aufstellen muss, um die Millionen aus dem Stärkungspakt des Landes zu bekommen.

Und wenn ein Millionen-Minus offiziell in der Welt ist, muss man es stopfen. Paß wollte sich und der Stadt das neue Millionenloch zum jetzigen Zeitpunkt offenbar ersparen. Und entschied sich, so bestätigen mehrere Quellen der NRZ, am Ende dafür – kurzerhand nichts zu tun. Er rechne doch, so ließ er in der verdutzten EVV-Aufseher-Schar verlauten, mit allseitigem Verständnis, wenn er sich persönlich nicht an der Abstimmung beteilige. Ausgerechnet der OB, ausgerechnet also der Vorsitzende des EVV-Aufsichtsrates macht sich zum politischen Neutrum?

Die Politik schüttelt den Kopf über den offiziellen Standpunkt, keinen zu haben.

Die EVV in zahlen:

Die Essener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (EVV) wurde 1979 gegründet, um die Gewinne städtischer Tochterfirmen gegen die Verluste an anderer Stelle aufzurechnen und so Steuern zu sparen.

Alleinige Gesellschafterin ist mit einem Stammkapital von 66,2 Millionen Euro die Stadt Essen.

Die EVV hat diverse Beteiligungen, darunter 100 % an der städtischen Reinigungsgesellschaft RGE, 100% an der Weiße Flotte Baldeney-GmbH, 92,31 % an der Essener Verkehrs-AG, 81,78 % an der Allbau AG, 51 % an der Entsorgungsbetriebe Essen GmbH, 51 % an der Stadtwerke Essen AG, und 50 % an der essen.net GmbH.

Laut städtischem Beteiligungsbericht 2011 führte im Jahre 2010 die Stadtwerke AG 21,2 Millionen Euro ab und die RGE Servicegesellschaft 1,2 Millionen Euro. Aus der RW Energie-Beteiligungsgesellschaft mbH, in der die RWE-Aktien gepoolt sind, flossen knapp 12 Millionen Euro, von der Allbau AG 16,8 Millionen, von den Entsorgungsbetrieben 2,6 Millionen.

In der Geschäftsführung der EVV sitzen die Chefs der Stadtwerke, Bernhard Görgens und Dietmar Bückemeyer, der Chef der Essener Verkehrs-AG, Horst Zierold, der Chef der Entsorgungsbetriebe, Klaus Kunze, Allbau-Chef Dirk Miklikowski und RGE-Chef Klaus Wieschenkämper.

Im Aufsichtsrat der EVV sind die Spitzen der Essener Politik vertreten, darunter Rainer Marschan und Manfred Reimer (SPD), Franz-Josef Britz und Thomas Kufen (CDU), Burak Copur (Grüne) sowie Hans Peter Leymann-Kurtz (Linke). Außerdem gehören dem Aufsichtsgremium neun Arbeitnehmer-Vertreter an. Den Vorsitz des Aufsichtsrates führt Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD).

Der soeben beschlossene Wirtschaftsplan 2012 ff sieht für das laufende Jahr einen Fehlbetrag von knapp 12,2 Millionen Euro vor. Im kommenden Jahr sollen es 17,2 Millionen Euro Minus sein. Wesentlich Anteil am Wohl und Wehe hat die Dividende auf RWE-Aktien.