Essen. „Romeo und Julia“ ist eng verbunden mit der persönlichen Geschichte von Ben Van Cauwenbergh. Jetzt erprobt der Ballett-Intendant am Aalto-Theater eine neue und doch klassische Choreografie des Stoffes.
Einst war er selbst der große Titelheld, der für seine Angebetete bis in den Tod geht. Vor über 30 Jahren tanzte Ben Van Cauwenbergh in London Rudolf Nurejews Version von „Romeo und Julia“. Vor 20 Jahren legte er in Wiesbaden seine eigene Choreografie des Shakespeare-Stoffes vor mit Ehefrau Nadia Deferm und Neffe Lars in den Hauptrollen. Nun in Essen gestaltet der Intendant des Aalto-Balletts die berühmteste aller Liebesgeschichten fast neu. „Was gut war, bleibt. Was schlecht war, fliegt raus“, erklärt er sein Vorgehen. Auf Biegen und Brechen erneuern will er nicht. Seine Ansicht auf dieses Ballett war und ist klassisch.
Am Ende dieser Spielzeit, in der „Cinderella“ und „Giselle“ die Zuschauer eroberten, wirken alle Tänzer abgekämpft. Daher probt er mit neun Mitgliedern seiner Compagnie im Ballettsaal eine Mise en Scène, in der es auf das Schauspiel ankommt. „Es ist das Schwierigste, weil Mimik und Gestik gefragt sind“, erklärt er. So soll die Figur der Amme grotesk angelegt werden. Zusammen mit der Solistin Adeline Pastor will er sie entwickeln. In der Tat lässt die Pirouetten-Queen beim Hadern mit Yanelis Rodriguez als erster Julia bereits komische Züge erkennen. Die Zweit- und Drittbesetzungen, die im Hintergrund stehen, tun es ihr gleich. Staksender Gang, in die Hüfte gestemmte Hände, empörtes Gesicht, erhobener Zeigefinger. Doch „jede soll ihren eigenen Zugang zur Rolle finden“, betont Ben Van Cauwenbergh.
Kostüme in prachtvoll gewebten Jacquard-Stoffen
Als die CD mit Prokofjews eindrucksvoller Musik nicht funktioniert, will er keine wertvolle Zeit vergeuden. Kurzerhand wird eine andere Passage probiert. Er mimt mit Ballettmeisterin Alicia Olleta die Capulet-Eltern, die Julia mit Graf Paris verheiraten wollen. Nwarin Gad muss in dieser Rolle die Widerspenstige gefügig machen, hebt und dreht sie auf seinen Armen, führt sie relativ reglos davon. Nein, mit dem Ausdruck ist der Choreograf noch nicht zufrieden. Daran muss gearbeitet werden. Nach dem Sommer. Damit nichts in Vergessenheit gerät, wird jeder Schritt mit einer Kamera festgehalten.
Es folgt die zufällige Begegnung des erstbesetzten Romeo Breno Bittencourt, der verletzungsbedingt einen Schongang einlegen muss. Mit einem leichten Rempler an der Schulter stößt er Yanelis Rodriguez an, während Ben Van Cauwenbergh ruft „Ihr seht euch zum allerersten Mal“ und einen verliebten Blick zeigt. Wie sehr er sich mit diesem Ballett verbunden fühlt, muss er später gar nicht betonen.
Einige Etagen weiter oben im Aalto-Theater hängen bereits einige Kostüme in prachtvoll gewebten Jacquard-Stoffen. Rot-schwarz für die Capulets, gelb-schwarz für die verfeindete Familie Montague. Auch die Bühnenbildentwürfe lassen auf ein Renaissance-Ambiente schließen. Opulenter Ball, anrührende Balkonszene, elegante Fechteinlage – alles bleibt klassisch. Selbst wenn der Ballett-Intendant von einer „kompakteren Version“ spricht. Vor allem auf eines freut er sich: „Schöne Pas de deux zu machen, liebe ich. Zwei Menschen, die sich in die Augen schauen, im Tanz zu verbinden“, sagt er. Und einen Romeo in Jeans kann er sich dabei wirklich nicht vorstellen.
Gespräch mit Ben Van Cauwenbergh über sein jüngstes Ballett
Herr Van Cauwenbergh, wie steht Ihr Ballett am Ende der Spielzeit da?
Ben Van Cauwenbergh: Ich bin überglücklich bei einer Auslastung von fast 90 Prozent und rund 57.000 Besuchern.
In der nächsten Saison wird ab 1. November das Ballett „Romeo und Julia“ zu sehen sein, das Sie in Wiesbaden bereits choreografiert haben. Wo ist der Unterschied?
Van Cauwenbergh: Die Choreografie wird kompakter sein, die Rollen werden neu angelegt und sie wird einen neuen Look haben. Aber es bleibt mein Vokabular. Ich habe das Ballett schon getanzt und choreografiert. Es ist ein Stück meiner Identität.
Was inspiriert Sie zu dieser Arbeit?
Van Cauwenbergh: Ganz klar die Musik von Prokofjew, die diese Liebesgeschichte erzählt.
Wie viele Tänzer sind für den Klassiker im Einsatz?
Van Cauwenbergh: Die Compagnie mit 30 Tänzern plus zwei Folkwang-Tänzer und zwei freie Tänzer, weil mir bei den vielen Rollen sonst keine Gruppe bleibt.
Vier Julias wurden ausgewählt. Und zwar mit Yanelis Rodriguez, Anna Khamzina, Yuki Kishimoto und Yulia Tsoi Tänzerinnen unterschiedlichen Typs und Alters. Was hat Sie dazu bewogen?
Van Cauwenbergh: Sie haben unterschiedliche Qualitäten. Nelli hat die jugendliche Frische, Yulia die Ausdrucksstärke, die man in der Sterbeszene braucht. Aber allen habe ich gesagt: Wenn du tanzt, will ich weinen.