Essen. . Der gehörnte Ehemann auf dem Autoscooter und der Traum vom Mega-Glück: Die Inszenierung von Thomas Krupa im Essener Schauspiel folgt Armin Petras’ Bühneneinrichtung des Riesenromans. Die Inzenierung umkreist moralische Irrläufer, die ihre Vorstellung vom Glück ins Überdimensionale gesteigert haben.

Wem das Bild vom goldenen Käfig Ehe zu klein geworden ist im 21. Jahrhundert, macht das Gefühls-Gefängnis einfach größer. Zieht den goldenen Torbogen bis unter die Bühnendecke und lässt den Liebenden dann freien Lauf – ins Unglück, in die tröstende Seinsgewissheit der Religion oder vor den nächsten fahrenden Zug, der an diesem Abend zweimal hält. Einmal bringt er sie mit, dann reißt er sie für immer fort: Anna Karenina, Leo Tolstois unglückliche Romanheldin, eigentlich keine Frau für einen kurzen Theaterabend. Regisseur Thomas Krupa erzählt Tolstois 1000-Seiten-Werk trotzdem in nicht mal zweieinhalb konzentrierten Stunden.

Gespielt wird in Essen die Kompakt-Fassung von Armin Petras, die den alten Ehebruchroman mit Bedacht, aber doch entschlossen ins Heute zieht. Krupa und Bühnenbildner Andreas Jander verzichten dabei jedoch konsequent auf optische Opulenz und szenische Aktualisierung. Das Päckchen Drum-Tabak, das Anna bei der Ankunft am Moskauer Bahnhof aus der Tasche zieht, ist eher ein halbherziger Versuch von demonstrierter Coolness wie die hollywoodesk-rekelnde Anspielung auf die vielen Anna-Karenina-Verfilmungen vor pustenden Windmaschinen. Aber dann findet die Inszenierung doch hinein in die soghafte Geschichte, die die Kunst- und Religionsdiskurse, das Weltanschauliche zu Randaspekten werden lässt. Das zeitlose Thema ist die Liebe in Zeiten der gesellschaftlichen Bindungsenge, der von Tolstoi mit unterschiedlichen Paaren angelegte Wettstreit der unterschiedlichen Liebeskonzepte.

Ehebruch-Verrenkung

Da ist Matthias Breitenbachs seinsverliebter Oblonski, der nicht daran denkt, seine Liebe nur zwischen seiner frustrierten Ehefrau Dascha (mit feinnerviger Spannung: Evamaria Salcher) und seiner Schwester Anna zu teilen. Die Männer lassen hier leicht die Hosen runter. Bei Anna wird der Akt des Ehebruchs fast zur körperlichen Verrenkung, während sich ihr Mann im Yoga-Mantra übt: „Ich bin nicht eifersüchtig!“ Tolstois kompliziertes Ehe-Schach reduziert Petras’ hier auf das Bild des modernen Mannes, der sehen kann, wie er sich die aufgesetzen Hörner auf der Turnmatte abstößt.

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Später wird dieser duldsame Beziehungs-Beamte im Autoscooter noch seine Kreise drehen. Stefan Diekmann ist hier Kind und Manne in Personalunion, das personifizierte schlechte Gewinnen für Ehebrecherin Anna. Janina Sachau spielt sie als eine Frau, die weiß was sie tut, eine Liebeswahnsinnige mit tiefer Leidenslust. Jörg Malchows Wronski ist ein smarter Mann für gewisse Stunden, dem die Weite des gemeinsamen Landlebens schnell zu eng wird, während Sven Seeburgs aufklärerischer Turnschuh-Reformer Lewin sein kleines Glück mit Silvia Weiskopfs aufsässig-anrührender Kitty schließlich auf dem Dorfe findet.

Bebende Schlussworte

Verhandelt wird das in Petras’ Fassung auch in längeren epischen Passagen, die die Figuren immer wieder wie externe Erzähler vortragen. Der permanente Wechsel von direkter und indirekter Rede plus Ausstattungs-Kargheit sorgt allerdings für eine beträchtliche Distanz zu den Figuren, die von der Wucht der großen Gefühle und der suggestiven Musik von Mark Polscher mal mehr, mal weniger intensiv überwunden wird.

Krupa will kein Kostümfest, will keine Mätzchen und Marotten, er will Menschen, moralische Irrläufer, die ihre Vorstellung vom Glück ins Überdimensionale gesteigert haben, dass sie in keinen realistischen Rahmen mehr passen. Am Ende braucht es keine kreischenden Zugbremsen mehr, nur die bebenden Schlussworte einer Frau, die der zerstörerischen wie befreienden Kraft der Liebe ihr zeitloses Antlitz schenkt.