Essen. Nach dem gewaltsamen Tod eines kaum drei Wochen alten Babys sind Nachbarn und Behörden gleichermaßen ratlos. Sogar der Anwalt der mutmaßlichen Täters sagt, dass es für die Tat „nicht den geringsten Erklärungsansatz“ gebe.

Keine Kerze, keine Blumen, kein Stofftier: Nichts erinnert vor dem Wohnhaus in Altenessen-Süd an den kaum drei Wochen alten Säugling, der hier von seinem Vater so schwer misshandelt wurde, dass er am Montag seinen Kopfverletzungen erlag. Auch die handgemalten Schilder mit der Frage „Warum?“, die an so vielen Tatorten häuslicher Gewalt zu finden sind, fehlen hier. Dabei ist es dieses Warum, das alle quält, die von dem kleinen Leben hören, das hier ein so grausames Ende nahm.

Die erste und unfassbare Antwort darauf lautet: Weil das schreiende Kind beim Computerspielen störte. So hat es der 26 Jahre alte Vater seinem Anwalt Volker Schröder erzählt, gleich nach der Tat. In jener Nacht zum Dienstag, 6. Mai, habe er versucht, seinen Sohn zu beruhigen, doch das Schreien hörte nicht auf, das Kind habe „genervt“. Da schlug er zu, mehrfach, auf den Kopf des Babys.

„Um einem erst wenige Tage alten Würmchen gegen den Kopf zu schlagen, muss man eine ganz andere Hemmschwelle überwinden, als wenn man einem Kind den Hintern versohlt“, so Schröder. Berufsbedingt ist dem Anwalt nichts Unmenschliches fremd, und doch sagt er: „Für diese Tat gibt es nicht den geringsten Erklärungsansatz.“

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Aber eine Vorgeschichte gibt es: Schon 2009 war der Mann wegen Misshandlung Schutzbefohlener zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Damals vertrat ihn ein Kollege aus Schröders Kanzlei. Als der heute 26-Jährige später gegen die Bewährungsauflagen verstieß, sollte er die Haft antreten und tauchte Anfang 2013 ab. So konnte er zum Wiederholungstäter werden, „denn wegen des ersten Falls hat die Polizei ja nicht gleich eine Großfahndung eingeleitet“, sagt Schröder.

Ist der Täter der leibliche Vater des Kindes?

Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens vermutet, „dass der Mann schon längere Zeit bei der Kindsmutter lebte“. Ob diese wusste, dass er gesucht wird, ist genauso offen wie die Frage, ob er überhaupt der leibliche Vater des getöteten Säuglings ist. Darüber wird erst ein DNA-Test Auskunft geben. Gegen die Mutter werde derzeit nicht ermittelt, sagt Jürgens: „Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass sie in irgendeiner Weise beteiligt war. Es ist eine traurige Geschichte.“ Das sagen auch die Leute aus dem Viertel, die die 24-Jährige noch mit dem Kinderwagen gesehen haben: „Die arme Mutter! Hier sind alle geschockt, man denkt immer, soetwas geschieht nur im Fernsehen.“

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Und dann geschieht es im eigenen Haus, „und man hat nichts bemerkt“, wie eine Nachbarin sagt. Merken konnte auch die Behörden nichts: Der Vater war ja nicht gemeldet, die Mutter dem Jugendamt nicht bekannt . Wie bei allen frischgebackenen Eltern hätte der Babybesuchsdienst ihr bald einen Termin angeboten. Niemand weiß, ob sie das Angebot angenommen hätte und ob die Mitarbeiterinnen Warnzeichen gesehen hätten. „Es ist ein tragischer Fall, wo unsere Mittel nicht greifen konnten“, sagt Jugendamtssprecher Peter Herzogenrath. Der Babybesuchsdienst kommt erst ab der vierten Lebenswoche. So alt sollte der kleine Junge aus Altenessen nicht werden.

Die Mutter gilt als zweites Opfer des Verbrechens

Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Mutter des getöteten Jungen nicht Mittäterin, sondern das zweite Opfer. Als ihr Freund das Baby schlug, schlief sie. Als der Mann sie weckte, rief sie verzweifelt den Notarzt.

Es gebe einige Hilfsangebote für die Eltern von Getöteten, sagt Anwältin Imke Schwerdtfeger. Etwa die Opferschutzambulanz der Uniklinik. Die Polizei informiere Betroffene über die Angebote. „Es gibt auch Opfer, die in der Wohnung bleiben, um dort die Trauer zu durchleben.“