Essen. An gefühlt jedem Laternenmast in der Stadt hängen Wahlplakate für die Kommunal- und Europawahlen. Aber haben sie überhaupt eine Wirkung?
Das Wohl der Stadt hängt am Laternenmast. „Für ein starkes Essen“ steht dort geschrieben, oder „Unser Zuhause“. Die Einen fordern einen „Klimaschutz ohne Grenzen“, die Anderen „Mut zur Vielfalt“. Die Rede ist natürlich von den Wahlplakaten im Kommunal- und Europawahlkampf. Einen Monat vor dem Urnengang haben die Parteien in Essen gefühlt auch die letzten freien Masten mit ihren politischen Botschaften und Köpfen beglückt. Doch haben die Plakate überhaupt eine Wirkung auf den Wähler?
„Plakate haben einen recht geringen Einfluss auf die Wahlentscheidung“, meint Wolfgang Horn, der die Politik aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betracht hat. Horn ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und saß für das Essener Bürgerbündnis sowie die FDP-Fraktion fünf Jahre lang im Stadtrat. „Mir fällt kein Wahlplakat ein, dass ich derzeit spontan mit einer Partei verbinde“, sagt Horn. Schon allein die schiere Fülle der aufgehängten Botschaften lasse die Aufmerksamkeit bei vielen sinken. „Die Leute gucken gar nicht richtig hin.“
Früher hatten Wahlplakate noch eine andere Bedeutung
In ihrer historischen Entwicklung haben sich Wahlplakate seit dem Ende des 19.Jahrhunderts enorm verändert. „Früher waren sie ganz außerordentlich wichtig“, sagt Horn. Denn abgesehen von den Zeitungen waren sie das einzige Medium, das für politische Bekanntmachungen zur Verfügung stand. Angeschlagen wurden meist lange Texte, die Menschen blieben stehen, informierten sich über die Forderungen der Parteien. In den Endzeiten der Weimarer Republik (1919 bis 1933) prägten martialische Darstellungen das Bild. „Vor allem bei den Nationalsozialisten und Kommunisten“, sagt Horn. Nach der Gründung der Bundesrepublik wurden längere Texte immer weniger, die Botschaften zahmer. Die Köpfe der Politiker rückten zunehmend in den Vordergrund – von Konrad Adenauer über Willy Brandt bis Angela Merkel.
Auch interessant
Nun wird man schlecht abstreiten können, dass die meisten Bezirks-Kandidaten aus Frillendorf-Ost oder Altendorf-Nord weder Bekanntheit noch Ausstrahlung eines potenziellen Bundeskanzlers haben. Untersuchungen der Universität Hohenheim haben ergeben, dass reine Kopfplakate kaum wirken. „Sie machen die Kandidaten zwar etwas bekannter, doch viele Menschen sind früher oder später davon genervt“, so Professor Frank Brettschneider, der Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Uni in Hohenheim, in der Pressemitteilung zu einer Wahlkampf-Studie. Nur bei Spitzenkandidaten könnten solche Plakate eine höhere Wirkung entfalten. Laut der Studie machen die Banner aber in erster Linie darauf aufmerksam, dass der Wahlkampf begonnen hat. Brettschneider rechnet damit, dass Plakate in Zukunft zwar zu Gunsten des Internets an Bedeutung verlieren – „völlig unwichtig werden sie jedoch nie sein“.
Ein bunter Mix, den man kaum wahrnimmt
Zurück zum Kommunalwahlkampf in Essen. „Ich nehme die Plakate in der Stadt nur als einen großen, bunten Mix war“, sagt Thomas Siepmann, Geschäftsführer der Rüttenscheider Werbeagentur TAS Emotional Marketing und Werbefachmann. „Es gibt ein paar ganz grausame Sachen, lieblos und schlimm. Aus werberelevanter Sicht ist da nichts Erinnerungswertes dabei.“ Siepmann hält das Zeigen von Köpfen für den falschen Weg – die Botschaft müsste viel stärker im Vordergrund stehen.
Joachim Drell, Geschäftsführer der Grünen, meint ebenfalls: „Die Wirkung von Plakaten ist relativ gering.“ Darauf verzichten könne jedoch keine Partei. „Sonst heißt es: Man kümmert sich gar nicht mehr um uns.“ Ähnlich sieht es Frank Müller, SPD-Wahlkampf-Leiter und Kandidat: „Wenn sie nichts aufhängen, wirkt das so, als hätte man es nicht nötig.“ Auch CDU-Geschäftsführer Norbert Solberg glaubt nicht an die große Wirkung von Plakaten, aber: „Sie schaffen Aufmerksamkeit dafür, dass eine Wahl ansteht.“