Essen. Ordnungsdezernent Christian Kromberg über die Zwänge bei der Bombenentschärfung, die unhinterfragbare Autorität der Profis von Kampfmittelräumdienst und warum er die Möglichkeit verworfen hat, die Stadtteil-Räumung um wenigstens einen Tag zu verschieben.
Herr Kromberg, die Eile bei Räumung und Bombenentschärfung ist dem neuen Erlass der Bezirksregierung geschuldet, das ist bekannt. Aber wegen der Justizvollzugsanstalt und der Forensik hätten Sie doch eigentlich mehr Zeit gehabt.
Christian Kromberg: Der Kampfmittelräumdienst hatte mir in der Tat die Entscheidung überlassen, die JVA und die Forensik zu räumen, allerdings auch gesagt, dass das aufgrund der massiven Struktur der Gebäude und vor dem Hintergrund „nur“ einer Fünf-Zentner-Bombe nicht nötig sei. Eine Verschiebung auf dieser Basis hätte aber nur bedeutet, dass am Freitag geräumt worden wäre. Den Bürgern hätte das wenig gebracht.
Immerhin hätte es am Freitag keinen Evag-Streik gegeben, die Straßen wären nicht so voll gewesen.
Gut, aber wir hätten am Freitag Vormittag die Schulen räumen müssen, das Gericht hätte nicht arbeiten können, und den Berufsverkehr hätte es auch dann getroffen. Das heißt, den Vorteilen eines Verschiebens auf Freitag standen auch Nachteile gegenüber. Vor allem aber: Die Räumung von JVA und Forensik war eben unnötig. Von der rechtlichen Seite war die Sache damit klar: Ich war laut Erlass verpflichtet, unverzüglich zu handeln.
Weltkriegsbombe in Essen-Rüttenscheid
Wäre mit Hinweis auf Gefängnis und Forensik auch eine Verschiebung auf Samstag möglich gewesen? Da hätte es doch die geringsten Störungen für die Bürger gegeben.
Bis Samstag konnte ich die Entschärfung nicht hinauszögern. Das war keine Option.
Warum nicht? Eine Räumung dieser sensiblen Einrichtungen hätte wohl ohnehin bis Samstag gedauert.
Nein. Da gibt es Notfallpläne, die wären dann umgesetzt worden. Es hätte vielleicht bis in die Nacht zum Freitag gedauert, nicht länger. Aber noch mal: Wenn mir der Kampfmittelräumdienst sagt, die Leute können in der JVA bleiben und müssen nur auf die Seite des Gebäudes wechseln, die der Entschärfung abgewandt ist - mit welcher Begründung soll ich dann sagen, ich setze die Unverzüglichkeit außer Kraft? Ich möchte noch auf einen Vorteil des Donnerstags verweisen...
Bitte...
Die Menschen waren wegen des Evag-Streiks ohnehin darauf eingestellt, dass es im Straßenverkehr schwierig werden würde. Vielleicht erträgt man an einem solchen Tag ein bisschen mehr Chaos sogar besser als einen Tag später noch mal dasselbe zu erleiden.
Sie mussten 50 nicht gehfähige Leute evakuieren und fast 30 Menschen, die zu Hause auf Beatmungsgeräte angewiesen sind. Ist eine Evakuierung da nicht in der Abwägung sogar die eigentliche Gefahr?
Diese Menschen müssen sowieso hin und wieder ins Krankenhaus. Das sind Standardprozeduren, die am Donnerstag hervorragend funktioniert haben. Da ist die Abwägung für mich klar. Wir können niemanden bei einer Bombenentschärfung in seinem Haus lassen.
Dennoch fragt man sich, ob der Aufwand nicht übertrieben ist.
Wenn es heißt, im Umkreis von 250 Metern muss alles geräumt werden, dann haben die Profis vom Kampfmittelräumdienst für diese Anweisung ihre Gründe. Die habe ich - mangels eigener Qualifikation - nicht infrage zu stellen.
Gehen wir mal ins Detail: Warum musste die Alfredstraße so viele Stunden gesperrt sein?
Wir können erst mit der Räumung eines Stadtviertels beginnen, wenn wir die Straßen absperren. Sonst fangen wir ja immer wieder von vorne an, weil immer wieder Menschen ins Viertel kommen.
Gut, aber hätte es nicht vielleicht gereicht, erst mal nur die kleineren Zufahrtstraßen ins Viertel zu sperren und die große Durchgangstraße erst kurz vor der Entschärfung? Das hätte weit weniger Staus bedeutet.
Mag sein. Die Anregung, ob wir die Tangenten außerhalb der 250-Meter-Zone nicht etwas länger hätten aufhalten können, nehme ich mit in unsere Nachbesprechung.
Gab es Pannen?
Erfreulich wenige. Eine Straße wurde versehentlich gesperrt, obwohl sie außerhalb des Radius lag.
Wie ist Ihr Gesamtfazit des Einsatzes?
Insgesamt bin ich sehr zufrieden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen danken, die mitgewirkt haben, nicht nur allen aktiven Helfern, auch zum Beispiel den Präsidenten der Gerichte und der Schulleiterin der B.M.V. Auch Lothar Grüll, der Essener Geschäftsführer von Verdi, hat sich sehr kooperativ verhalten. Als ich ihn auf einer Kundgebung in Duisburg erreichte und bat, zehn Busfahrer zu schicken, hat er sie aus dem Streik rausgenommen. Da hat er keine Sekunde gezögert.
Generell kann man sagen: Bei solchen Ereignissen funktioniert unser Apparat hervorragend, auch das Zusammenspiel von Profis und freiwilligen Kräften klappte gut. Das macht mich ein bisschen stolz.
Die Fragen stellte: Frank Stenglein