Gelsenkirchen/Essen. Madeleine W. wurde brutal ermordet. Von den Tätern gefesselt, geknebelt und in ein Loch im Kleingarten ihres Stiefvaters geworfen, dann einbetoniert. Unter Mordverdacht stehen ihr Halbbruder und ihr Stiefvater. Den 47-Jährigen soll Madeleine vor einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt haben.
Die Obduktion in der Essener Rechtsmedizin ergab am Mittwochnachmittag, was alle befürchtet hatten: Madeleine W., die seit dem 11. Februar vermisste junge Mutter aus Gelsenkirchen, wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Sie ist die Tote, die Ermittler der Mordkommission „Kita“ und Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerkes (THW) am Dienstagabend in einem Kleingarten an der Levinstraße in Essen-Dellwig gefunden und ausgegraben haben.
Und alles deutet auf eine grauenerregende Familientragödie hin:
Wegen Mordes sitzen die beiden Männer in Untersuchungshaft, die am Dienstag in Essen festgenommen wurden – der 21-jährige Halbbruder der Frau und ihr 47 Jahre alte Stiefvater. Der Essener ist auch der Vater des zweijährigen Kindes, das nun keine Mutter mehr hat. Gegen ihn wurde seit etwa einem Jahr schon wegen schweren sexuellen Missbrauchs an seiner Stieftochter ermittelt.
Wie die Staatsanwaltschaft Essen am Donnerstagmorgen bestätigte, hatte Madeleine ihren Stiefvater vor einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Zwischenzeitlich soll sie im vergangenen Jahr vor dem 47-Jährigen in ein Frauenhaus geflüchtet sein. Warum es in diesem Ermittlungsverfahren bisher nicht zur Anklage gekommen ist, konnte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sagen.
Madeleine W. wurde möglicherweise lebendig begraben
Das erklärte die Essener Oberstaatsanwältin Birgit Jürgens am Mittwochabend auf einer ursprünglich um 17 Uhr geplanten Pressekonferenz im Polizeipräsidium Gelsenkirchen. Diese war mehrfach und schließlich bis 19.23 Uhr verschoben worden, weil einer der Beschuldigten vor dem Haftrichter am Amtsgericht Gelsenkirchen ausführlich Stellung zu den Vorwürfen nahm. Wie Eckhard Harms, Leiter der MK Kita, erklärte, "ist mit dem Stiefvater nicht zu reden". Dessen Sohn streite eine Tatbeteiligung ab. Gegen die mit den beiden in der Nähe des Essener Stadthafens wohnende Mutter Madeleines wird nicht ermittelt.
Zum Motiv haben die Ermittler "viele offene Fragen", sagte Harms. "Es muss einen Bruch innerhalb der Familie gegeben haben". Die Details, die er und Jürgens am Abend erläuterten, zeugen von Kaltblütigkeit und Brutalität. Erst am Dienstag erfuhren die Ermittler vom Kleingarten des 47-Jährigen auf der Anlage „Hesselbach 1+2“ des Kleingartenvereins Essen-Borbeck.
THW musste zwei Betonschichten über der Leiche abtragen
Als sie Im Umfeld der braun und blau gestrichenen Bretterbude, an der Deutschland- und Ferrari-Fahnen die Sicht ins Innere versperren, frisch gesetzte Pflanzen entdeckten, durchsuchten sie die Parzelle - und fanden ein Grab: ein 1,30 Meter tiefes Loch. Die Täter hatten Madeleine einbetoniert. Das THW stieß gegen 19.45 Uhr auf die Leiche, die Bergung dauerte mehrere Stunden. Die Einsatzkräfte mussten zwei Betonschichten und zwei Erdschichten abtragen.
"Wir wissen nicht, ob sie bei lebendigem Leib vergraben wurde." Dieser Satz der Oberstaatsanwältin ist eine dieser Aussagen, die viele Zuhörer während der Pressekonferenz erschaudern lassen. Was sicher ist: Die 23-Jährige erstickte, sie wurde gefesselt und geknebelt. Was die Rechtsmediziner noch nicht herausfinden konnten ist, wann genau das Leben der jungen Frau endete.
Familie von Madeleine verstrickte sich schnell in Widersprüche
Die 23-Jährige lebte im Stadtteil Resser Mark im Gelsenkirchener Osten mit ihrer zweijährigen Tochter und ihrem Lebensgefährten. Am 11. Februar brachte Madeleine W. ihre Tochter noch in den Kindergarten.
Laut Erkenntnissen der Polizei traf sich Madeleine am 11. Februar mit dem Stiefvater und dem Halbbruder und fuhr mit ihnen gemeinsam nach Essen. Der Kontakt zu den Essener Familienmitgliedern sei nicht von der 23-Jährigen ausgegangen, vielmehr habe der Stiefvater versucht, Kontakt zu ihr aufzubauen.
Als Madeleine ihre kleine Tochter an dem Tag nicht aus dem Kindergarten abholte, meldete ihr Lebensgefährte sie sofort als vermisst. Zunächst stellte die Polizei Nachforschungen an, fragte etwa in Krankenhäusern, ob Madeleine dort gesehen oder behandelt worden sei. Am Mittwoch habe man sich "intensiver mit dem familiären Umfeld beschäftigt", erklärte Harms.
Plötzlich war der Stiefvater während der Ermittlungen verschwunden
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Ihre Familie habe sich in den ersten Befragungen schnell in Widersprüche verstrickt, so Chef-Ermittler Harms: "Ihre Alibis waren falsch, da wird man hellhörig." Zumal der 47-Jährige und sein Sohn immer wieder die Unwahrheit gesagt haben. Am Mittwoch oder später, so genau wissen die Ermittler das noch nicht, war der Stiefvater dann plötzlich verschwunden. Seine Frau und sein Sohn wollten den Ermittlern weismachen, der Gesuchte sei in den neuen Bundesländern, auch in Sachsen, unterwegs. Harms: "Nach unseren Erkenntnissen war er die ganze Zeit hier in Essen." Am Dienstagnachmittag konnten die Fahnder ihn dann auf offener Straße festnehmen.
Was ihn ebenfalls verdächtig machte, berichtete Oberstaatsanwältin Jürgens, ohne auf Details einzugehen: Gegen den Mann läuft seit über einem Jahr ein Ermittlungsverfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs an Madeleine. Während der Ermittlungen habe ein Vaterschaftstest bewiesen, dass der 47-Jährige mit seiner Stieftochter das Kind gezeugt hat, das heute zwei Jahre alt ist.
Das kleine Mädchen, das seine Mutter zuletzt am Morgen des 11. Februar sah, ist das zweite Opfer dieser Familientragödie. Eine Pflegefamilie kümmert sich um die Halbwaise.