Essen. Essens Stadtkämmerer Lars Martin Klieve spricht im Interview mit der Redaktion über die prekäre finanzielle Lage der Messe Essen, über die Gründe für das Schrumpfen des Eigenkapitals - und weshalb die Stadt dennoch an dem Unternehmen festhält und sogar investieren will.
Als Stadtkämmerer und Hüter der Finanzen im Rathaus ist Lars Martin Klieve im Wahlkampf-Endspurt vor dem Bürgerentscheid ein gefragter Mann. Denn Klieve obliegt in dieser Eigenschaft auch eine Art Finanzaufsicht über die städtischen Töchter, die er oft und bisweilen sehr direkt zu mehr Sparbemühungen aufforderte.
Und die Finanzen der Messe sind ja einer der ganz großen Streitpunkte im Ringen um die Gunst des Bürgers. Der Kämmerer, politisch bei der CDU verortet, kennt die finanzielle Lage der Messe Essen gut. Und es ist kein Geheimnis, dass er zunächst seine Probleme hatte mit dem Plan, rund die Hälfte des Messe-Geländes umfassend zu modernisieren.
Gegenüber der WAZ hat Klieve das Investment zuletzt aber klar verteidigt und für verträglich befunden - auch mit Blick auf den angespannten Haushalt der Stadt. Ein Gespräch über Aspekte der Messe-Finanzen.
Herr Klieve, was bedeutet es genau, wenn es manchmal heißt, die Messe sei eigentlich pleite? Ist das Eigenkapital bereits restlos aufgezehrt?
Klieve: Wie die meisten deutschen Messegesellschaften hat die Messe Essen GmbH die letzten Geschäftsjahre mit der Ausnahme des Geschäftsjahres 2008 mit Verlusten abgeschlossen. Dies hat zu einer deutlich gesunkenen Eigenkapitalquote geführt, die am 31. Dezember 2012 noch 1,7 Prozent betrug. Zuletzt ist die Quote durch die Kapitaleinlage für den Erwerb der Parkfläche P2, das ist die Fläche des früheren Rüttenscheider Güterbahnhofs, wieder etwas gestiegen, auf rund 10 Prozent. Aufgrund der erzielbaren Preise und der mindestens teilweise nicht marktgerechten Ausstellungsflächen, darunter vor allem die Doppelstockhallen, sind positive Ergebnisse der Messe mittelfristig nicht zu erwarten. Ohne Verlustausgleich wäre der vollständige Verzehr des Eigenkapitals die zwangsläufige Folge.
Seit wann sind die Finanzen der Messe in Schieflage und warum?
Hier ist noch einmal zu betonen: Die Messe Essen ist im Vergleich zu anderen deutschen Messegesellschaften kein Sonderfall. Häufig – so auch bei der Messe Essen – werden mit dem eigentlichen Messegeschäft schwarze Zahlen geschrieben. Die Kosten für die Instandhaltung und Modernisierung der Messehallen kann aber kaum eine Messegesellschaft ohne Hilfen stemmen. Die Messe Essen hat die Verluste der letzten Jahre zunächst durch das vorhandene Eigenkapital ausgleichen können, was bis zum Jahr 2011 zu einem fast vollständigen Verzehr dieses Kapitals geführt hat. Dass diese Entwicklung ohne Zuführung von neuem Eigenkapital oder regelmäßige Verlustausgleiche nicht unbegrenzt weitergehen konnte, war spätestens seit Mitte des letzten Jahrzehnts absehbar.
Warum war das absehbar?
Ein wesentlicher Grund sind Überkapazitäten im Markt. Das heißt, es gibt zu viele Messe-Standorte in Deutschland, die sich gegenseitig starke Konkurrenz machen. Wegen der - wie gesagt - teilweise überalterten Hallen hat Essen dabei nicht immer die besten Karten.
Warum sich die Stadt Essen dennoch eine Messe leistet
Warum leistet sich die Stadt dann dennoch die Messe und will sogar noch investieren?
Viele Kommunen - darunter Essen -, aber auch einige Bundesländer sind trotz der regelmäßigen Verluste ihrer Messen zu finanziellen Zuschüssen bereit, da mit den Messen volkswirtschaftlich gesehen Umweg-Renditen, Arbeitsplätze, ein positives Image und weitere positive Effekte verbunden sind.
Wer hat die Investitionen der letzten Jahrzehnte aufgebracht? Die Messe oder die Stadt? In welchem Verhältnis?
In den letzten 15 Jahren wurden über 180 Millionen Euro durch die Messe Essen GmbH investiert. Die Investitionen wurden ganz überwiegend durch die Messe selbst finanziert mit Erträgen aus dem laufenden Geschäft. Im Zeitraum 1999 bis 2012 gab es „nur“ Kapitaleinlagen der Stadt in Höhe von insgesamt knapp 37 Millionen Euro.
Seit wann ist ein städtischer Defizitausgleich nötig?
Der städtische Defizitausgleich setzte erst vergleichsweise spät - im Jahr 2012 - ein. Vor 2012 wurden die Verluste immer wieder mit Sach- oder Kapitaleinlagen, die punktuell zu einem Eigenkapitalanstieg geführt haben, ausgeglichen.
Wieviel zahlt die Stadt Essen genau an die Messe?
Seit 2012 wird mit einem durchschnittlichen Verlustausgleich von 13,5 Millionen Euro über einen Fünfjahreszeitraum kalkuliert. Darin sind die Kosten der geplanten Ertüchtigung bereits berücksichtigt worden. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der Messe stark schwankend sind, was mit dem Messe-Zyklus zu erklären ist. Häufig gibt es einen Zwei-Jahres-Turnus, in ungeraden Jahren finden deutlich weniger Messen statt. Deswegen ist der städtische Defizitausgleich immer über einen längeren Zeitraum zu betrachten. Für das Jahr 2014 wird aktuell von einem Verlustausgleich in Höhe von 8,47 Millionen Euro ausgegangen, in 2013 von 15,24 Millionen Euro.
Muss die Messe vom Verlustausgleich auch Zins und Tilgung an die Stadt zahlen für die städtische 100-Millionen-Euro-Bürgschaft für die Messe-Modernisierung?
Theoretisch ja. Aber wir sind keine Bank, das Geld bleibt ja in der kommunalen Familie. Deshalb pocht die Stadt zunächst nicht auf die Zahlung, sondern wartet die Fertigstellung der Investition ab, mit der nach derzeitigem Stand 2019 zu rechnen ist - wenn die Bürger sie am Sonntag befürworten. Es gibt allerdings auf keinen Fall mehr als 13,5 Millionen Euro pro Jahr. Ich traue der Messe sogar zu, dass sie weniger braucht.