Essen. . Für einige Rentner führt das Alterseinkünftegesetz auf direktem Wege in die Schuldenfalle. Das Finanzamt sieht hingegen keine größeren Probleme.

Mittlerweile sollten alle benachrichtigt sein. Doch da fangen die Probleme oft erst an. Die Rede ist von Rentnern, bei denen im vergangenen Jahr unliebsame Post vom Finanzamt in den Briefkasten flatterte. Etwa 100.000 Senioren forderten die Finanzämter in NRW Anfang 2013 auf, eine Steuererklärung abzugeben. Was teilweise Rückzahlungen zur Folge hatte, die Existenzen bedrohten.

In Essen seien zwar mehrere tausend Rentner von dem Gesetz betroffen, sagt Ulrich Hartmann vom Finanzamt Essen. „In der Masse läuft es bei uns aber ruhig und wir können die Probleme friedlich und sachlich abwickeln, weil wir jeden Fall mit Augenmaß behandeln“, sagt der Vorsteher des Finanzamtes. Um die Rentner in Essen in den vergangenen Jahren umfassend zu informieren, habe man wiederholt Infotage mit der Deutschen Rentenversicherung angeboten, so Hartmann. Die Rentner seien seiner Meinung nach zusammen mit den Informationen des NRW-Finanzministeriums aus der Presse auf einem guten Stand gewesen. „Ich glaube, viele haben es einfach mal drauf ankommen lassen und abgewartet, ob sich das Finanzamt bei ihnen meldet“, so Hartmann.

Informationen dringen nicht zu Senioren vor

Das sieht Katharina te Heesen vom Bund der Steuerzahler NRW anders. „Irgendwie ist die angebliche Informationsflut zu den Senioren wohl nicht durchgedrungen. Sonst hätten diese 100.000 Rentner wohl nicht mehr angemahnt werden müssen. Das waren ganz sicher nicht alles Steuerbetrüger“, so die Referentin für Steuerrecht und Steuerpolitik. Ulrich K. von der Lohnsteuerhilfe Essen sieht jedoch auch die Rentner klar in der Bringschuld. „Viele der Leute, die jetzt nachzahlen müssen, haben es eben vorher verbraten.“ Auch seiner Einschätzung nach hätten es 95 Prozent „einfach darauf ankommen lassen“, ob sich das Finanzamt meldet. Da sei es nicht überraschend, wenn nun ein Kredit aufgenommen werden müsse, so Ulrich K.. „Wir haben außerdem auch viele Mandanten, die beispielsweise eine RWE-Betriebsrente von 20.000 Euro bekommen. Die zahlen natürlich Steuern und das ist auch richtig so“, sagt der Berater.

Die Essener Steuerberaterin Ursula Mayer kennt jedoch auch andere Fälle. Sie habe einen Rentner betreut, dessen Ehefrau auf Lohnsteuerkarte arbeitete, mit einem sehr niedrigen Gehalt. „Die Einkünfte wurden zusammengerechnet und das Ehepaar musste für mehrere Jahre einige tausend Euro nachzahlen. Das ist für die Leute, die ohnehin schon wenig Geld haben, eine große Summe“, so die Steuerberaterin aus Rüttenscheid. Und die Finanzämter reagieren schnell, wenn sie das Geld nicht bekommen. „Die sperren sofort das Konto. Das ist eigentlich eine Unverschämtheit“, so Mayer.

Verzweifelte Anrufe und Zuschriften

Diese Erfahrungen kann auch te Heesen bestätigen. „Bis heute erreichen uns immer wieder verzweifelte Anrufe und Zuschriften. Die Senioren berichten uns völlig aufgelöst, dass ihr Konto gesperrt ist und sie die Miete nicht mehr zahlen können“, so te Heesen. „Und dann steht plötzlich der Herr mit dem Kuckuck vor der Tür.“ Die Senioren seien in diesen Fällen sowohl emotional als auch finanziell „völlig überfordert“. „Die Menschen haben sich in ihrem Leben eingerichtet, haben eine kleine Rente und wissen nicht, wo sie das Geld plötzlich hernehmen sollen“, so die Rechtsanwältin. Häufig werde nicht einmal eine Stundung genehmigt. Die Bank gewähre wiederum Rentnern keinen Kredit.

„Das Vorgehen ist häufig unangemessen. Wenn bereits 10.000 Euro gezahlt wurden, wegen weiteren tausend das Konto zu pfänden, finde ich überzogen“, so te Heesen. Das Finanzamt antworte dann häufig damit, dass die Betroffenen froh sein könnten, dass noch kein Strafverfahren eingeleitet worden wäre, so die Rechtsanwältin. Allerdings käme es auch immer wieder zu solchen Verfahren. Aktuell habe sie zehn dieser Fälle vorliegen, so te Heesen. Problematisch sei außerdem, dass im Normalfall gar keine vollständige Steuererklärung mehr gemacht werden könne. „Wer hat schon noch die Belege von vor sieben Jahren?“, sagt te Heesen. Und das seien gerade bei Senioren mit Krankenhauskosten, Rezepten, Taxifahrten zum Arzt oder Praxisgebühren nicht unwesentliche Beträge.

Die Schamgrenze ist sehr hoch

Die Referentin vom Bund der Steuerzahler NRW rät Senioren, sich an Lohnsteuerhilfevereine zu wenden. „Wir haben außerdem eine Broschüre herausgegeben, die auf die Zielgruppe genau ausgerichtet erklärt, was wo in welche Zeile eingetragen werden muss“, so te Heesen.

Einen erhöhten Beratungsbedarf bei Senioren bestätigt auch Lothar Pues von der Deutschen Steuerberatung Essen. Gut die Hälfte seiner Privatmandanten seien Rentner. „Das ist auch kein Wunder. Letztlich ist es ja schon für junge Menschen extrem kompliziert. Senioren sind damit häufig völlig überfordert. Vor allem auch mit den Computerprogrammen, die ja eigentlich eine Hilfestellung sein sollten“, so der Steuerberater.

Gerade bei denjenigen, die dringend Hilfe brauchen, sei die Schamgrenze sehr hoch, sagt te Heesen. „Viele melden sich erst gar nicht bei uns. Den Senioren ist es natürlich unangenehm, wenn sie nicht zahlen können.“ Hilfe von Außen zögerten sie häufig zu lange heraus.