Essen. Anmerkungen zu Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß von Wolfgang Kintscher, Redaktionsleiter der NRZ-Essen

Als Reinhard Paß an jenem Abend im Spätsommer 2009 auf seine gewonnene Oberbürgermeister-Wahl anstieß, da war das eine sehr übersichtliche Angelegenheit. In der Rüttenscheider „Ampütte“, wo die Sozialdemokraten in früheren Zeiten lautstark und feucht-fröhlich ihre Triumphe gefeiert hatten, gruppierte sich in jener Nacht ein kleines Häuflein von vielleicht einem Dutzend Getreuen um einen abgewetzten Holztisch, die Familie schon mit eingerechnet. Und noch bevor es richtig gemütlich wurde, das mag so irgendwann gegen halb eins gewesen sein, war die dröge OB-Party auch schon wieder zu Ende.

Das ist auch eine Frage des Typs, ganz sicher: Die Journalistenschar, die in der Traditionskneipe stressige Wahlabende in geselliger Runde zu beenden pflegt, hat schon so manchen Verlierer ausgelassener erlebt, als den Genossen Diplomingenieurchemiker in Gewinnerpose nach zehn Jahren CDU am Drücker. Aber die Szenerie machte einem eben auch wieder mal deutlich, wie lose verankert, mehr noch: wie wenig beliebt Reinhard Paß in seiner Partei ist.

Paß verweigert vorgezogene OB-Wahl

Wer sich in diesen Tagen also darüber wundert, wie Paß seine sozialdemokratischen Mitstreiter derart brüskieren kann, indem er sich der allseits favorisierten vorgezogenen OB-Wahl verweigert, der macht sich was vor: Dem kühlen Analytiker Paß war sozialdemokratischer Stallgeruch und die verschwitzte Solidarität am Malocherstammtisch schon immer gänzlich fremd. Was der Partei zur Kommunalwahl nützen könnte, interessierte ihn deshalb auch diesmal vermutlich nicht die Bohne.

Paß hat vielmehr eiskalt kalkuliert, welcher Wahltermin seine Chancen auf eine zweite Amtszeit wohl eher erhöhen könnte. Und da einem derzeit nicht ganz so viel einfällt, was da im Mai 2014 auf der Habenseite stehen könnte, hat er sich für den späteren Termin entschieden: Herbst 2015, bis dahin geht ja vielleicht noch was.

Derweil schäumt die SPD vor Wut. Wie sauer nahezu die gesamte Führungsriege auf „ihren“ OB ist, lässt sich schon daran absehen, dass selbst erfahrene Spitzengenossen ihrer Enttäuschung, ja, Empörung freien Lauf lassen. Statt sich mit gequälter Miene die üblichen gestanzten Formulierungen abzuringen, um der politischen Konkurrenz bloß keine Nahrung zu geben, formulieren Hilser und Co. frank und frei ihren angestauten Frust über einen politischen Egozentriker in den eigenen Reihen, dessen Beratungsresistenz abenteuerliche Züge angenommen hat.

Wut auf Paß noch frisch

Und der seinen Vorrat an parteiinterner Unterstützung mittlerweile aufgebraucht zu haben scheint. Zumindest in diesen Tagen, da die Wut auf Paß noch frisch ist, gilt es in der SPD keinesfalls als sakrosankt, sich Gedanken über die Frage zu machen, ob denn unbedingt er es sein muss, mit dem die Sozialdemokraten 2015 in die OB-Wahl ziehen. Schwer zu sagen, ob hinter solchen Drohgebärden echte Substanz steckt. Denn wer Paß als sozialdemokratischen Oberbürgermeister nicht mehr will, der müsste eher früher als später formulieren, wer denn stattdessen für diesen Job kandidieren soll.

Es scheint, als hätte Paß das Erpressungs-Potenzial seines spöttischen „Wen habt Ihr denn sonst?“ gewogen und für schwerer befunden als die Gefahr, dass die Sozialdemokraten sich ernsthaft einem Wahlkampf für ihr Stadtoberhaupt mit rotem Parteibuch verweigern. Denn wo, wenn nicht im Angesicht einer zerstrittenen Essener SPD-Schar lässt die Schlacht um die roten Revier-Rathäuser eine schwarze Siegeschance aufblitzen? Solche Aussichten könnten auch die missmutigste Partei(führung) am Ende so weit disziplinieren, dass sie aus rein rationalen Gründen lieber mit der Faust in der Tasche Paß ins Amt zu hieven trachtet, als einem CDU-Kandidaten das Feld zu überlassen, der womöglich noch von FDP, EBB oder gar den Grünen getragen wird. Wer dann das Rennen macht, das hängt wohl ganz entscheidend von der Persönlichkeit der Kandidaten ab.

Und wer immer dann am Ende eines langen Wahlabends in der „Ampütte“ an der Rü auf seinen Sieg anstößt, mit großem Gefolge oder allein am Tresen: Wir werden dort sein.