Essen. ...aber eben auch nichts gewonnen: CDU-Fraktionschef Thomas Kufen über Bürger zwischen großer Messe-Linie und Klein-Klein, über sein Festhalten am Viererbündnis und Finanzbeschlüsse mit Pferdefuß.

Das Gespräch mit Thomas Kufen führte Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Stadtredaktion Essen.

Herr Kufen, der Sparkurs wird aufgeweicht, das eine oder andere Geschenk verteilt, und Rot-Rot-Grün liegt sich in den Armen. Haben wir da am Freitag das Ende des CDU-geführten Viererbündnisses im Rat erlebt?

Thomas Kufen: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Das Viererbündnis hält schon viel länger, als mancher uns überhaupt zugetraut hat...

Ein solches Ausscheren beim Sparkurs gab’s bislang aber noch nicht.

Kufen: Oh doch, beim Ökostrom zum Beispiel. Aber in der Tat, es war das erste Mal ein Beschluss mit so weit reichenden finanziellen Folgen.

Die Wahl lässt grüßen?

Kufen: Natürlich, wir sind doch nicht naiv. Wir stehen vor einem wichtigen Bürgerentscheid am 19. Januar, das verlegt den Wahlkampf noch einmal deutlich nach vorn. Und auch die Nominierungen der Parteien stehen derzeit an. Man konnte deutlich merken, dass sich manche Rede weniger an die Ratsmitglieder gerichtet hat, als vielmehr an die eigenen Leute.

Dabei geht es nicht nur um Worte, sondern auch um Wohltaten.

Kufen: Leider. Ich kann nur davor warnen, dass jede Fraktion jetzt ihre Spendierhosen spazieren trägt. Das könnte am Ende sehr teuer werden – so teuer, dass im Extremfall die 90 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt verloren gehen.

Rot-Rot-Grün argumentiert, man dürfe den Sparkurs nicht auf dem Rücken der schwächsten Arbeitnehmer austragen.

Kufen: Es stimmt, es gibt Ungerechtigkeiten bei den städtischen Gesellschaften. Aber es ist doch völlig falsch, sich jetzt mit der Beschäftigungsgesellschaft Essener Arbeit eine einzige herauszugreifen – ohne zu wissen was danach kommt.

Ist das nicht schon absehbar? Wer bei der EABG den Tarif verbessert, muss doch bei Suchthilfe, Reinigungsgesellschaft und anderen nachziehen, um nicht neue Ungerechtigkeiten zu schaffen.

Kufen: Ja, so ist das. Und damit stellt sich die Frage: Wo kommt das Geld dafür her? Da sind natürlich in erster Linie jene gefragt, die diesen Beschluss herbeigeführt haben. Ich mache mir vielleicht manchmal zu sehr den Kopf der anderen, aber das muss man tun, wenn man den Eindruck gewinnt, der eine oder andere, der da zustimmte, hat die Konsequenzen dieses Beschlusses so womöglich gar nicht gesehen.

Was heißt das denn jetzt fürs Viererbündnis, wenn den Grünen neuerdings dämmert: „Wir dürfen die Stadt nicht kaputtsparen“?

Kufen: Ums Kaputtsparen geht es ja nicht…

...für die Grünen sehr wohl: Das ist der O-Ton von Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger…

Kufen: ..sondern darum, wie wir den Sparkurs halten können, um weiter von den Stärkungspaktmitteln der rot-grünen Landesregierung zu profitieren. Wir sollten alle klug und diszipliniert genug sein, in den letzten drei Ratssitzungen vor der Wahl an uns zu halten. Sonst gibt es irgendwelche Zufallsmehrheiten, an denen die Stadt kein Interesse haben kann.

Weil jeder nur sich und sein Wahlergebnis im Blick hat...

Kufen: ...und versucht, sich in eine möglichst gute Startposition zu bringen. Die Neigung, Kompromisse zu schließen, wird, je näher der Wahltermin rückt, nicht größer, sondern kleiner. Das wirft die Frage auf, ob man noch vernünftige Lösungen im Konsens hinbekommt.

Sicher, solange noch Geld da ist.

Kufen: Manchmal geht’s ja nicht mal ums Finanzielle, sondern um die Frage, ob man zu Potte kommt. Das trifft vor allem die SPD, weil sie aus zwei verschiedenen Parteien besteht – einer Oppositionspartei und einer Oberbürgermeisterpartei. Das hat man in der Frage der Unterbringung von Flüchtlingen gesehen, wo die Sozialdemokraten Angst haben, eine Entscheidung zu treffen – nur weil man sich innerhalb der Ortsvereine nicht auf Standorte einigen kann. Ich halte das für fahrlässig und eine Zumutung. Und deshalb bleibe ich dabei: Es gibt nach wie vor keine Alternative zum Viererbündnis, um eine verantwortliche Politik zu machen.

Gibt es wohl: In Sachen Messe, wo das Miteinander mit FDP und EBB zur Mehrheit nicht reicht, gibt’s die „ganz große Koalition“.

Kufen: Eine „große Koalition“ mit der SPD-Ratsfraktion, wohlgemerkt. Mich hat schon sehr irritiert, wie unmittelbar vor einer so wichtigen Abstimmung der SPD-Parteichef uns als Messebefürwortern per Interview Blei an die Füße hängt. Sich hinzustellen und zu formulieren: Wir sind zwar für die Messe, aber wir können das nicht so offen sagen, und wir werden da auch beim Wahlkampf nicht mitmachen – also da musste ich schon schlucken.

Dennoch: Die Ratsmehrheit zum Messe-Teilneubau war überwältigend. Wie groß ist denn Ihre Zuversicht, dass sich diese Mehrheit auch im Ergebnis des Bürgerentscheids widerspiegelt?

Kufen: Was soll ich sagen, die Bürger sind frei. Wir haben am Sonntag in Bayern gesehen, dass es bei solchen Entscheiden manchmal nicht um die große Linie geht, sondern um das Klein-Klein zu Hause. Und deshalb ist der Entscheid um die Messe derzeit weder gewonnen noch verloren. Wir steigen jetzt ein in den Diskurs. Deshalb war ich auch unglücklich mit der Debatte im Rat, wo ich erwartet hätte, dass die Vertretungsberechtigten anwesend sind. Das gebietet einfach der Respekt gegenüber dem Rat, und da ist es kein schlagendes Argument zu sagen: Mir hat ja keiner gesagt, dass ich reden darf.

Einer hat ja geredet, Herbert Bußfeld. Es war die Stimme des Volkes gegenüber den Volksvertretern. Dass das eine mit dem anderen nicht zwanghaft zusammengehen muss, hat ja schon das bayerische Olympia-Votum gezeigt. Was sagt uns das für den Messe-Entscheid?

Kufen: Dass Demokratie ein Angebot ist. Dass man dafür werben kann, und am Ende entscheiden die Bürger, ob sie es annehmen oder nicht. Ich will die Messe-„Ertüchtigung“ um Himmels willen nicht kleinreden, es geht um ein Entwicklungsprojekt in immerhin dreistelliger Millionenhöhe. Aber wir sollten jetzt nicht bis zum 19. Januar nur noch politische Brunnenvergifterei betreiben, das wird weder dem Thema gerecht noch der Verantwortung, die wir alle über den Termin hinaus für das Unternehmen haben. Denn egal wie der Entscheid ausgeht, es wird auch danach eine Messe geben.

War es nicht umso fahrlässiger, Stimmung auch damit zu machen, dass es da vermeintlich um den Bestand der Messe an sich geht?

Kufen: Auch das gehört zum politischen Geschäft. In Deutschland sind alle politische Fragen immer welche von Leben oder Tod. Dazwischen gibt’s nix. Ich muss das akzeptieren, auch wenn ich versucht habe, da differenzierter überzukommen.

Mag sein, aber das ist keineswegs die Regel. Wenn man um die Unberechenbarkeit solcher Bürgerentscheide weiß, wäre es doch ratsam gewesen, deutlich zu machen: Es geht nicht um alles oder gar nichts.

Kufen: Dann gilt das aber für beide Seiten. Zu argumentieren, wenn wir die Messe bauen, gibt’s keine Martinsbrezeln mehr, ist mindestens genauso unsachlich und falsch.

Immerhin, man redet im Stadtrat miteinander.

Kufen: Und zwar wirklich sehr kontrovers und mit wechselnden Mehrheiten. Und dann gucke ich auf die Uhr, und um 17.55 Uhr verlässt der Oberbürgermeister den Ratssaal und sagt, er hätte einen wichtigen Termin in Duisburg. Da war ich schon etwas konsterniert. Wie ich überhaupt generell finde, dass der OB gelegentlich falsche Prioritäten setzt.

Sie meinen die Affäre um die Entsorgungsbetriebe?

Kufen: So ist es. Seit vier Wochen warten wir auf Antworten zu den Vorgängen in der EBE. Vier Wochen ohne eine einzige Reaktion auf unseren Katalog mit 26 Fragen, nur eine Eingangsbestätigung hat es dafür gegeben. Das kann man nicht entschuldigen mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Die Frage, ob der Vertrag mit Herrn Hoppensack noch bis 2014 läuft, kann man auch beantworten, ohne auf die Verschwiegenheit gegenüber dem Staatsanwalt zu verweisen.

Der OB recherchiert ja selbst noch.

Kufen: In der Tat: Was es gibt, ist ein umfangreicher Fragenkatalog an alle Beteiligungsunternehmen, in dem jetzt alle unter Generalverdacht gestellt werden. Das sieht für mich doch sehr stark danach aus, als sollte vom eigentlichen Skandal abgelenkt werden. Der Skandal ist bei den Entsorgungsbetrieben passiert, und er muss aufgeklärt werden. Und der OB hat nichts Besseres zu tun, als alle Beteiligungsunternehmen in die Archive zu schicken und Akten bis 2008 rauszuholen. Womit grundsätzlich ausgesprochen wird, dass was bei der EBE lief, auch in allen anderen Unternehmen möglich war. Ich habe dafür kein Verständnis.