Essen. . Die Flut von Krimis verändert Polizei-Arbeit nicht nur; sie belastet sie sogar. Der Essener Forscher Jo Reichertz spricht von einem „CSI-Effekt“. Das Publikum erwartet, dass die Fahnder genauso schnell wie im Fernsehen zu Ergebnissen kommen. Doch die Wirklichkeit ist widerborstiger als in einem 45-Minuten-Krimi.

In Amerika nennen sie es den „CSI-Effekt“: Wenn Bürger, Po­lizisten oder Straftäter ihr Verhalten ändern, weil sie aus Krimiserien zu wissen glauben, wie die Polizei agiert. Inzwischen gibt es das wohl auch in Deutschland: „Bei großen Fällen schreiben heute Bürger an die Polizei, jetzt müsse sie aber langsam mal einen DNA-Test machen“, sagt Professor Jo Reichertz von der Universität Duisburg/Essen.

In den 90ern schrieben alle Amerikaner Gerichtskrimis, seitdem heißen die Moden Serienkiller und Gerichtsmedizin (Forensik). Dabei haben vor allem letztere durch Literatur und Filme sehr viel Sympathie erworben, im Vergleich zu Serienkillern natürlich erst recht.

Blick der Zuschauer wandelt sich vom Kriminalistischen zum Forensischen

Der Kommunikationswissenschaftler Reichertz hat sich angesehen, was durch Fernsehschaffende wie die forensischen Trupps von „CSI: Vegas“ (RTL, Dienstag, 20.15 Uhr) anders geworden ist in der Wirklichkeit. Und die Antwort ist: alles! „Früher war Gerichtsmedizin eine Hilfswissenschaft, und Forensiker waren nie zu sehen. Heute sitzen sie in Fernsehshows und bringen ihre Institute ins Geschäft.“ Der populäre Quincy hat dem den Weg bereitet, und der Münsteraner Börne wirkt ebenfalls daran mit.

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Wegen der endlos vielen Gerichtsmedizin-Serien wandele sich sogar der Blick des Zuschauers „von einem kriminalistischen in einen forensischen. Er fragt nicht mehr: Was ist da passiert, wer war das? Sondern das Publikum fragt: Was sind die Wunden, und was sagen sie mir?“

DNA-Test binnen weniger Minuten?

So traf der Essener Wissenschaftler auf Leute, die ihr forensisches Wissen aus dem Fernsehen zu eigenen Fachvorträgen verarbeiten; und einen gab es gar, der hatte sich spezialisiert auf Gerichtsmedizin für Kindergeburtstage. Umgekehrt halten Gerichtsmediziner Vorträge namens „Wie überführt man Verbrecher?“, dabei dürfen sie in Deutschland gar nicht selbst ermitteln.

Tatsächlich aber ist die Wirklichkeit viel schwieriger und widerborstiger als in einem 45-Minuten-Krimi. „Wenn Polizisten das sehen, schauen sie ins Schlaraffenland“, sagt Reichertz. Viele Bürger glaubten wegen des „CSI-Effektes“ aber daran, dass DNA-Tests innerhalb weniger Minuten möglich seien und gerade beauftragte Analysen abends fertig. „CSI verkörpert die neue Hoffnung: Wenn Wissenschaftler mit allen Mitteln ein Verbrechen klären, entkommt keiner. Das ist natürlich eine frohe Botschaft, wenn alle wissen, in der Realität entkommen viele.“