Essen. Es klingt nach Cola und Popcorn, doch es ist in Wahrheit ziemlich öde: Carina Jasmin Englert analysiert Krimiserien. Die Kommunikationswissenschaftlerin koordiniert an der Uni Duisburg-Essen das Forschungsprojekt „Mediatisierung der Sicherheitspolitik“ - und ist dabei spannenden Fragen auf der Spur.

Auf dem Schreibtisch in Carina Jasmin Englerts Büro steht ein Foto von Eduard Zimmermann, Erfinder von „Aktenzeichen XY ungelöst“ und damit irgendwie auch Altmeister des Reality-TV. Eher um Unterhaltung denn um Ermittlung geht es bei den zahlreichen US-amerikanischen Krimiserien, die heute in deutschen Wohnzimmern regelmäßig über die Mattscheibe flimmern. Auch Englert entspannte früher gern bei CSI und Co, inzwischen fällt ihr das schwer, sie kann die wissenschaftliche Brille nicht mehr ablegen. Die junge Frau ist eine derjenigen, die an der Uni Duisburg-Essen im Rahmen eines Forschungsprojekts mediale Verbrecherjagden untersuchen. Krimis gucken für die Wissenschaft.

„Das ist wesentlich langweiliger, als man es sich vielleicht vorstellt“, sagt Englert. Keine gelegentlichen Notizen bei Popcorn und Müßiggang auf dem Sofa, sondern nüchterne Detail-Analyse. Da muss mitunter zigmal zurückgespult und eine halbminütige Sequenz wieder und wieder angeschaut werden. In diesem Fall geht es um Fragen wie: Welches Bild vom Gerichtsmediziner wird gezeichnet? Wie wird sein Arbeitsplatz dargestellt, welche Botschaft transportieren Licht und Kamera? „Ein Schwenk sagt mehr als tausend Worte“, heißt ein Aufsatz von Englert. Vergangenes Jahr hat sie ihre Doktorarbeit abgeschlossen: „Die latente Botschaft von Fernsehserien über Verbrechensaufklärung im Hinblick auf moderne Methoden der Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin.“

Der "CSI-Effekt"

Ihre Ermittlungen kann die Kommunikationswissenschaftlerin nun ausweiten. Für das Projekt unter Federführung von Professor Jo Reichertz gab es eine zweijährige Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Gemeinsam mit Reichertz und einer Kollegin geht Englert bis Ende 2014 der Frage nach: Was macht das viele Krimi-Gucken mit unserer Vorstellung der Arbeit von Pathologen, Kriminaltechnikern, Staatsanwälten?

Hintergrund ist der so genannte „CSI-Effekt“, den Forscher in den USA ausgemacht haben. Demnach sind Geschworene oft dermaßen beeindruckt von der dauerpräsenten Fernseh-Forensik, dass sie sich ohne DNA-Spuren nicht im Stande sehen, ein Urteil zu fällen. Kriminalistische Logik ist ihrer Ansicht nach höchstens der zweitbeste Berater. Nun kennt das deutsche Rechtssystem keine Geschworenen. „Wir gehen davon aus, dass es diesen Einfluss trotzdem auch hier gibt, er sich aber in anderer Form zeigt.“

Wie, das wollen Englert und ihre Kollegen nun in Gesprächen mit Vertretern von Polizei und Justiz herausfinden. Auch Straftäter möchten sie nach Möglichkeit befragen – denn wenn Fernsehserien tatsächlich oder vermeintlich so viele Informationen über die Ermittlerarbeit transportieren, lassen sich dann davon vielleicht auch diejenigen beeinflussen, die genau diese Ermittler austricksen möchten?

Die Auswirkungen der Medien auf die Strafverfolgung

Am Ende soll eine Momentaufnahme stehen – die vielleicht neue Fragen mit sich bringt. Müssen sich Strafverfolger besser darauf einstellen, dass mit den Medien neue Akteure auf der kriminalistischen Landkarte erschienen sind? Sollten sie vielleicht selber mehr Aufklärungsarbeit über ihren Job leisten? Den Bedarf dafür, das hat Englert in ersten Gesprächen bereits festgestellt, spüren einige Vertreter der Zunft durchaus. Der Wunsch nach einem realistischeren Bild ihres Berufs in der Öffentlichkeit sei auch der Grund dafür, dass mancher Gerichtsmediziner sich für ausgewählte dokumentarische Formate durchaus zur Verfügung stellt.

Sollte die DFG die Förderung des Projekts verlängern, möchte Englert auch so genannte Tiefeninterviews mit Fernsehzuschauern führen – gern daheim auf der Couch, aber statt mit Popcorn mit einem umfangreichen Fragenkatalog auf dem Schoß.