Unna. . Es gibt nur wenige, die so spannend von Maden, Urin, Erbrochenem und Leichenteilen reden können wie Mark Benecke (41). Im Interview gibt der bekannte Kriminalbiologe Einblicke in seinen Berufsalltag - und erklärt, wie er Düsterem Positives abgewinnt.

Es gibt nur wenige, die so spannend von Maden, Urin, Erbrochenem und Leichenteilen reden können wie Mark Benecke. Gerade war der von seinem Verlag als „bekanntester Kriminalbiologe der Welt“ gefeierte 41-Jährige in Unna und erklärte Redakteur Volker Stephan, wie er Düsterem Positives abgewinnt.

Herr Benecke, sonst finden Sie immer etwas. Kann es sein, dass Sie ausgerechnet in Unna Ihre Kamera verloren haben?

Mark Benecke: Nein, habe ich nicht. Ich habe nur diesmal darauf verzichtet, Fotos von der Stadt zu machen, in der ich einen Vortrag halte.

Warum?

Benecke:Das hat nichts mit Unna an sich zu tun. Auch hier gibt es bestimmt schöne Spuren von Kotze, Urin und abgelaufenen Batterien, anhand derer ich meine Arbeit erklären könnte. Diesmal steht aber mein neues Buch im Vordergrund. Da muss die Spurensuche mit der Kamera mal zurückstecken.

Wieder befassen Sie sich in einem Sachbuch mit Serienkillern, depressiven Mördern, sogar mit Hitlers Zähnen und Totenschädel. Wie halten Sie das alles aus?

Benecke: Indem ich allem Düsteren etwas Positives abgewinne. Eine Leiche mag für die Betroffenen etwas Trauriges, Schmerzhaftes sein. Ich sehe darin den Kreislauf des Lebens. Ich bin eben Biologe und kein Priester. Mir macht es Spaß, in Urinresten, Leichen oder Sperma Spurenträger zu sehen, die mich auf die richtige Fährte führen können.

Können Sie Jugendlichen einen Tipp geben, wie sie auch zu weltbekannten Kriminalbiologen werden können?

Benecke: Klar, ganz einfach: Fußball und Fernsehen verboten; spielt lieber mit Chemikalien und Fliegen!

Wie bitte?

Benecke: Ich kann nur meinen Weg beschreiben. (lacht) Als Kind habe ich weder Fußball gespielt noch vor der Glotze abgehangen. Dafür habe ich früh mit Chemie- und Physikkästen experimentiert und Detektivspiele gespielt – und mit Fliegen.

Weswegen am Höhepunkt der Karriere der etwas unappetitliche Titel „Herr der Maden“ wartet.

Benecke: Ach, diese Bezeichnung ist mir total egal. Viel spannender ist es doch, was einem die Maden oder anderes Getier verraten können. Nämlich, wie lange ein Toter schon tot ist, welche Verdächtigen dadurch für die Tat in Frage kommen und welche nicht.

Welche Menschen kommen für Ihren Beruf in Frage?

Benecke: Ich kann nur dazu ermuntern, sich die kindliche Begeisterung und etwas Naivität zu bewahren. Wenn ich kein Dilettant wäre, würde ich in meinem Beruf nicht sehr weit kommen.

Sie dilettieren herum?

Benecke:Ja, im positiven Sinne.

Benecke: Ich verstehe zum Beispiel von Pollen kaum etwas. Das verberge ich nicht, wenn ich mit Kollegen zu tun habe, deren Fachgebiet das ist.

So picke ich mir bei ihnen das heraus, was für meinen Fall wichtig ist. Ich lerne dazu und schnuppere unbefangen in einen mir unbekannten Bereich hinein.

Das unterscheidet mich kaum von Psychologen, Seelsorgern oder auch Ihnen, den Journalisten.

Wie meinen Sie das?

Benecke: Ich finde, in all diesen Berufen begegnen Sie Menschen, Problemen oder Fällen, die Sie in völlig neue Bereiche führen. Dafür müssen Sie sich vorbehaltlos öffnen können. Ich würde sagen: Sie müssen positiv dilettantisch sein und ihre Grenzen kennen. Dann erst machen Sie ihre Arbeit gut.

Sie können nicht zufällig den Unnaern helfen, einen Mordfall aus den 80er-Jahren zu lösen?

Benecke: Ich tue, was ich kann.

Ein elfjähriger Schüler wurde vor 25 Jahren in einem Maisfeld an der B1 mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf getötet. Später sichergestellte DNA-Spuren waren kaum zu gebrauchen.

Benecke: Das klingt schwierig, muss aber nicht unlösbar sein. Helfen kann da eigentlich nur mein Publikum.

Wie das?

Benecke: Weil sich an den Vortragsabenden Menschen oft plötzlich an scheinbar Unwichtiges erinnern, das sie nie der Polizei gesagt haben. Oder das ihnen durch meinen Vortrag erst als bedeutend erscheint. Dann stellen sie wertvolle Fragen. Frei nach Sherlock Holmes: Das Wichtige im Unwichtigen erkennen. Oft kommen so neue Puzzle-Teile ins Spiel.

Würden Sie gerne bei den aktuellen Neonazi-Ermittlungen mitpuzzeln?

Benecke: Das ist eine sehr interessante Sache. Ich wohne in Köln nicht weit von der Stelle des damaligen Nagelbomben-Attentats. Es hat mich immer persönlich genervt, dass dieses Delikt nicht gelöst wurde. Und es hat mir eine eigene „blinde Stelle“ aufgezeigt.

Worin waren Sie blind?

Benecke: Wie sehr viele habe auch ich die Mordserie nicht als ausländerfeindliche Attentate gesehen. Auch wenn meine Frau Lydia, die Psychologin ist und mit mir das Buch geschrieben hat, immer sagte, die Täter seien kaputt und von Hass getrieben. Ich vermutete organisierte Kriminalität dahinter. Auch ich bin also vor falschen Grundannahmen nicht gefeit.

Herr Benecke, vielen Dank für das Gespräch.