Essen. Hans Michaelsen ist seit 22 Jahren IHK-Geschäftsführer im Bereich Aus- und Weiterbildung – und rät jungen Menschen auch mal nach rechts und links zu schauen, sich niemals auf einen Beruf zu fixieren

Es gibt Lehrstellen, die Jahr für Jahr leer stehen. Wer wird denn schon Bäcker, Bestatterin, Fleischer oder Schädlingsbekämpferin? Haben wir uns gefragt – und Antworten gefunden in jungen Menschen, die bei der Berufswahl auch mal nach Alternativen gesucht haben. Warum das so wichtig ist, verrät Hans Michaelsen im Interview, der aus 22 Jahren Erfahrung als IHK-Geschäftsführer im Bereich Aus- und Weiterbildung spricht.

„Wer die Wahl hat, hat die Qual“ – so die Einleitung zur NRZ Azubi-Serie. Wie würden Sie die Auswahl an Möglichkeiten nach dem Schulabschluss beurteilen?

Hans Michaelsen: Die Bandbreite der Ausbildungsberufe hat sich letztlich nicht geändert. Viele Berufe fallen weg, deutlich zurückgegangen ist zum Beispiel der Beruf des Tankwarts, der heute nicht mehr erforderlich ist, da vieles auf Selbstbedienung ausgelegt ist. Dafür kommen immer wieder neue Berufe dazu, an der Tankstelle werden jetzt zum Beispiel Kaufleute ausgebildet. Insgesamt sind es seit 20 Jahren etwa 350 Ausbildungsberufe.

Würden Sie jungen Menschen heutzutage zum höchstmöglichen Schulabschluss raten, um die Chancen zu potenzieren?

Hans Michaelsen: Grundsätzlich gilt schon: Je höher der Schulabschluss, desto größer die Chancen und desto schwieriger ist auch die Entscheidung. Mit dem Abitur kann ich frei wählen zwischen Studium, Lehre oder schulischen Ausbildungen. Aber auch mit einem guten Realschulabschluss stehen viele Stellen zur Auswahl.

Also werden Abiturienten nicht unbedingt bevorzugt?

Hans Michaelsen: Auch das lässt sich nicht generell sagen. Ein Betrieb hat – wenn er klug ist – eine gesunde Mischung an Angestellten und Azubis. Er braucht ja nicht nur Überflieger, die Karriere machen, sondern auch Sachbearbeiter, Fachkräfte und die ganze Palette an Mitarbeitern, die ein Betrieb einsetzt. Beschäftigt er nur Abiturienten, muss er damit rechnen, dass die anschließend studieren wollen. Ob die dann wiederkommen, weiß man nicht.

Sie sagen, das diesjährige Bewerbungsverfahren sei immer noch voll im Fluss - woran liegt das?

Hans Michaelsen: Etliche Firmen werden gerade feststellen, dass Azubis ihre Stelle zum 1.8. oder 1.9. nicht angetreten haben, das ist ein immer größer werdendes Phänomen, leider.

Wie ist das zu erklären?

Hans Michaelsen: Manche unterschreiben im Laufe des Jahres zwei, drei, vier Ausbildungsverträge und melden sich zum Teil nicht wieder ab – das ist nicht immer Böswilligkeit, oftmals einfach Nachlässigkeit. Aber die Betriebe stehen dann dumm da – und finden so schnell meist keine geeigneten Kandidaten mehr.

Lässt sich das nicht vermeiden?

Hans Michaelsen: Doppelte Vertragsabschlüsse versuchen wir nach Möglichkeit auszuschließen, zwei Verträge für einen Schulabgänger zeichnen wir nicht ab, sondern fragen in dem Fall nach: Wo möchtest du jetzt anfangen? Hat jemand aber auch in Oberhausen oder Duisburg oder beim Handwerk unterschrieben, landet der Vertrag gar nicht bei uns. Daher ist das nicht immer überprüfbar.

Hohe Qualifikation lohnt sich immer 

Drei Verträge in der Tasche– ist das eine große Ausnahme oder die Regel?

Hans Michaelsen: Das kommt ganz drauf an. Diejenigen, die ein halbwegs ordentliches Zeugnis und einen realistischen Berufswunsch haben, die haben große Chancen, an vielen Betrieben angenommen zu werden. Besonders bei höher Qualifizierten ist das keine Seltenheit, die sind für viele Unternehmen attraktiv.

Sind bestimmte Berufsgruppen nur für Abiturienten/ Real- oder Hauptschüler zugänglich?

Hans Michaelsen: Grundsätzlich steht jede Branche jedem Schulabgänger offen. Es gibt allerdings eine Hand voll Berufe, die ein so hohes Anforderungsprofil haben, dass sie fast nur von Abiturienten zu schaffen sind, beispielsweise die Bank- oder Industriekaufleute.

Woran liegt das? Denken Sie da an Leistungen oder charakterliche Attribute?

Hans Michaelsen: Sowohl als auch. Die fachliche Anforderung ist hoch, wenn es tief in wirtschaftliche Zusammenhänge geht, ebenso muss die Persönlichkeit überzeugen – ein Banklehrling steht von Anfang an in Kundenkontakt.

Welche Berufe sind denn seit je her am beliebtesten und schnellsten vergriffen?

Hans Michaelsen: Immer wieder sehr beliebt ist alles, was mit Kfz zu tun hat, außerdem der Kaufmann im Einzelhandel, und bei Abiturienten der Industrie- und Bankkaufmann. Und der modische Trend geht nach wie vor zu Medienberufen, ohne dass die meisten wissen, was dahinter steckt – es klingt eben gut.

Nun kann ja nicht jeder Kfz-Mechaniker oder Mediengestalter werden. Wie nehmen Sie Einfluss auf die Berufswahl?

Hans Michaelsen: In Schulklassen und auf Messen, wo wir beraten und informieren, versuchen wir den jungen Leuten die Augen zu öffnen, dass es weit mehr Berufe gibt, als die, die ihnen im ersten Augenblick einfallen und was hinter Berufen inhaltlich steckt. Konkret steuern können wir die Berufswahl aber nicht.

Oftmals liegen die Schulabgänger letztlich doch daneben. Wie hoch liegt die Abbruchquote tatsächlich?

Hans Michaelsen: Es gibt eine beachtliche Anzahl von Abbrechern. Eine neue Studie vom Bundesinstitut für Berufsbildung kommt auf eine Quote von 12 Prozent. Sich im ersten Jahr umzuorientieren, weil die Ausbildung doch nicht den Vorstellungen entspricht, kann durchaus förderlich sein. Beim dritten oder viertel Mal halte ich es für bedenklich.

Was empfehlen Sie jungen Menschen, bei denen die Entscheidung zur Berufswahl noch ansteht?

Hans Michaelsen: Jeder sollte Alternativen parat haben, sich niemals auf einen einzigen Berufswunsch fixieren. Kein Mensch ist nur auf eine Tätigkeit ausgerichtet. Junge Menschen sollten sich nicht zu sehr von der Peer-Group beeinflussen lassen, sich lieber fragen: Wo liegen meine Stärken und Interessen? Praktika sind sehr hilfreich, selbst wenn man nur zur Erkenntnis kommt, was man nicht werden will.