Essen. . Horst Zierold, Vorstandsvorsitzender der Essener Verkehrs AG, Geschäftsführer der EVV-Holding und der Via, des Unternehmens der Essener, Mülheimer und Duisburger Verkehrsgesellschaften, verabschiedet sich in den Ruhestand. Der scheidende Chef beklagt die mangelnde Finanzausstattung für Bus und Bahn.

Er wird ihn mitnehmen, am kommenden Freitag, an seinem letzten Arbeitstag: Einen kleinen, leicht angegrauten Druck von Le Corbusier, ein Gesicht, halb Fratze, halb Sonne. „Das ist für mich mehr als nur ein Bild“, sagt Horst Zierold. „Es erinnert mich immer daran, dass ich mir meinen Optimismus nicht nehmen lasse.“

Optimismus, den hat er in der Tat gebraucht in den zurückliegenden neun Jahren als Vorstandsvorsitzender der Essener Verkehrs AG, als Geschäftsführer der EVV-Holding, und der Via, des gemeinsamen Unternehmens der Essener, Mülheimer und Duisburger Verkehrsgesellschaften. Der gebürtige Offenbacher, gelernter Stadtplaner, ehemaliger Kämmerer, Stadtdirektor und Personaldezernent der Stadt, gerade 64 Jahre alt, verabschiedet sich ein Jahr früher als geplant in den Ruhestand. Weil es ihm die Ärzte „mit Nachdruck“ empfohlen haben. Der Schritt ist ihm nicht leicht gefallen, und man glaubt es diesem leisen, völlig uneitlen Menschen, der seine Ziele beharrlich verfolgt, der überzeugen und mitnehmen will, nach Kompromissen sucht, wo es irgend geht, dem alles Laute fremd ist, der sich in die Pflicht nimmt, so jedenfalls schildern ihn seine Mitmenschen, egal ob aus Politik, Verwaltung oder den Nahverkehrsunternehmen. „Das ist ein Preuße“, sagt Nils Hoffmann, sein Sprecher. Horst Zierold drückt es anders aus: „Einfach, das kann jeder.“ So entwickelt sich ein Gespräch in seinem kleinen Büro im Erzhof, es ist sein Geburtstag: „Wollen Sie ein Stück Erdbeerkuchen?“

Mit Le Corbusier, dem Schweizer Architekten, teilt er die Leidenschaft als Stadtplaner: 1985 kam Horst Zierold nach Essen ins Amt für Entwicklungsplanung, wechselte 1989 für zwei Jahre zum Initiativkreis Ruhrgebiet, von dort zur Essener Wirtschaftsförderung. Sechs Jahre war er an vielen Projekten beteiligt.

NRZ: Das hat sie nicht losgelassen?

Horst Zierold: Nein, ich bin immer Stadtentwickler geblieben. Wir haben in Essen einiges erreicht, die Stadt bietet heute ein gänzlich anderes Bild, sie hat sich wunderbar entwickelt. Schauen sie sich die Weststadt an, das Colosseum. Wir haben eine Adresse geschaffen und ich bin überzeugt, dass auch dies bei der Rückkehr von Thyssen-Krupp eine Rolle gespielt hat. Jetzt kommt das Uni-Viertel dazu, und so entwickelt sich Essen in vielen Bereichen. Nehmen sie die Zeche Zollverein, die ehemalige Festwiese in Rüttenscheid, den Limbecker Platz. Das ist ein Puzzle, das sich zusammenfügt. Als wir damals an den Büromarkt herangegangen sind, haben viele in der Politik gesagt: Ihr müsst aber auch mal an die vielen Malocher denken. Unsere Antwort war: Aber das sind doch die künftigen Arbeitsplätze für Malocher!

Wie passt da die Zeit als Kämmerer hinein?

Ich habe damals, ehrlich gesagt, sehr darunter gelitten, die Haushaltskonsolidierung voranzutreiben, weil ich immer die Folgen gesehen habe. Mein Vorgänger hat mir damals den Rat gegeben: Schau dir nichts an. Ich habe diese Distanz nie hingekriegt. Es war eine sehr intensive Zeit, aber ich bin nicht deshalb zur Evag gewechselt, diese Gerüchte damals waren falsch.

Na ja, sonst hätten sie der Evag wohl nicht so hohe Sparvorgaben auferlegt.

Also, erst einmal bin ich ein Kommunaler, da gibt man seine Überzeugung nicht an der Garderobe ab. Und was die Evag betrifft, heißt das für mich, als städtisches Unternehmen im Interesse der Stadt so gut wie möglich für Mobilität zu sorgen, und dies so wirtschaftlich wie möglich.

Und warum dann noch Via?

Weil wir die interkommunale Zusammenarbeit brauchen, gerade im Bereich der Infrastruktur. Sicher, das interessiert den Fahrgast herzlich wenig, der will, dass die Bahn pünktlich kommt, dass sie sauber und sicher ist. Aber Via hilft ganz enorm dabei, dass es so ist. Via verschafft uns mehr Wirtschaftlichkeit, mehr Qualität und es sichert die rund 3000 Arbeitsplätze, davon allein 1800 bis 1900 in Essen.

Aber am Ende will die Politik, jede Stadt für sich, dann doch eine eigene Nahverkehrspolitik betreiben.

Über allem steht natürlich die kommunale Selbstverwaltung, das wollen wir nicht aushebeln. Aber das hindert uns nicht, gemeinsam Fahrzeuge zu kaufen, gemeinsam Werkstätten zu betreiben, gemeinsam Marketing und Vertrieb zu gestalten. Natürlich wäre es schön, wenn wir eines Tages einen gemeinsamen Nahverkehrsplan aufstellen könnten. Aber wir reden hier zwischen den drei Städten von unterschiedlichen Niveaus, das lässt sich nicht einfach übergehen. Wie gesagt, einfach kann jeder. Hier muss man reden, überzeugen, mitnehmen, abstimmen.

Das hört sich nicht sehr zuversichtlich an, eher nach Kirchturm.

Ganz so ist es nun auch nicht. Nicht jeder kann im Ruhrgebiet seine eigene Politik betreiben, oder er fällt raus aus dem Puzzle. Wir konkurrieren hier als Ruhrgebiet mit den europäischen Ballungsräumen, das müssen wir sehen. Aber natürlich ist es schwierig, alle mitzunehmen, das ist ja bei drei Unternehmen schon ein Problem. Die Tendenz, dies zu begreifen, ist doch größer geworden, auch wenn es manchmal nur die Not ist, die dahin drängt.

Na ja, das lässt hoffen, denn bei der Evag ist die Not ja sehr groß.

Das Thema Finanzen hängt manchem Kollegen schon zum Hals raus, aber es ist leider so. Wir haben 2005 einfach nur mal hochgerechnet, wie lange die Schienen halten, die Bahnen, und kamen bis 2050 auf eine Summe von zwei Milliarden Euro! Ich habe schon 2004 gesagt, dass wir in den nächsten zehn Jahren rund 350 Millionen Euro an Ersatzinvestitionen brauchen. Wer die Wahrheit sucht, muss sich nicht erschrecken, wenn er sie findet. Es ist allen ganz klar, was da auf die Branche zukommt. Vor eineinhalb Jahren hat das Land eine Zukunftskommission eingesetzt, die bis 2025 den Bedarf für die Bahnen auf 5,3 Milliarden Euro beziffert hat. Und da reden wir nur über den Erhalt.

Um mal bei Essen zu bleiben: Das würde den Haushalt überfordern.

Das ist ganz klar, das kann nur auf Bundesebene gelöst werden, und wir haben uns in der Kommission auch Gedanken gemacht, wo die Lösung liegen könnte.

Zum Beispiel?

Wir brauchen unabhängig von den jährlichen Haushalten einen Verkehrs-Fonds, ich weiß, dass die Vorschläge nicht unbedingt populär sind, aber dieser Fonds müsste sich speisen aus einer Maut für Lkw für alle Straßen, aus einem Teil des Soli-Beitrags, der dafür für den Osten reduziert werden müsste. Und aus ein paar Cent Anteil aus der Mineralölsteuer. Ich sage ganz deutlich, dass man dafür die Steuer nicht erhöhen sollte, man sollte nur ein paar Cent in den Fond fließen lassen. Ein Cent macht 650 Millionen Euro aus.

Beliebt machen Sie sich damit sicher nicht, und vielleicht fragt sich auch der ein oder andere, warum sie daran nicht mal früher gedacht haben.

Das ist das alte Dilemma der Evag: Wir können keine Rücklagen bilden, weil wir aus steuerlichen Gründen als Verlustunternehmen aufgestellt sind. Aktuell sind das 67 Millionen Euro. Das ist so gewollt, weil es für die Stadt günstiger ist. Zum anderen sind das auch die Folgen der Verkehrsfinanzierung in den 70er Jahren, als Neuanlagen zu 90 Prozent gefördert wurden, also zum Beispiel die U-Bahn. Dass wir 30 Jahre später die Anlagen erneuern müssen, das hat damals nicht so sehr interessiert.

Und das führt dazu, dass wir heute, wo wir eigentlich den Nahverkehr ausbauen müssten, nicht ein Stück vorankommen.

Das ist leider so. Wir werden dann mit dem Berthold-Beitz-Boulevard vertröstet, der Linie 105 nach Oberhausen. Aber das sind alles nur kleine Schritte voran, während hinter uns das Loch immer größer wird. Nehmen wir das Thema Beschleunigung, eines meiner Lieblingsthemen. Wir liegen in Essen bei eigenen Fahrspuren bei unter 30 Prozent, das ist erschreckend wenig. Dabei könnte ich auf jeder beschleunigten Strecke eventuell eine Bahn einsparen. Das sind 350.000 Euro pro Jahr! Hier müsste die Politik viel konsequenter sein.

Wo wir gerade bei Visionen sind . . .

Wir wollen besser als bisher eine Verknüpfung von ÖPNV mit Car-Sharing, E-Autos, Radstationen an ausgebildeten Punkten, das ist die Zukunft. Wir wollen dem Bürger das Gefühl geben, in der Großstadt Essen auf sein Auto verzichten zu können. Wir wollen ihm sein Auto nicht madig machen, wir sind nicht gegen irgendetwas, nein, wir wollen ihn überzeugen. Da gibt es noch viel zu tun, aber der Anteil der Menschen, die da mitgehen wollen, wächst.

Glauben wir mal daran. Stellen Sie sich mal vor, die knapp eine Milliarde Euro, die man wohl für die paar geplanten Kilometer A 52 quer durch den Essener Norden verbauen müsste, kämen der Evag zugute. Und sie versprechen, dafür das Verkehrsproblem im Norden zu lösen, würden Sie sich darauf einlassen?

Ja, natürlich, das würden wir schaffen, wir bräuchten dafür auch keine Milliarde, das bekämen wir billiger hin. Allerdings würde ich nicht mehr in die Erde gehen, sondern vielleicht eher die Gladbecker nutzen, den Mittelstreifen wegnehmen, dafür eine ÖPNV-Spur einrichten. Und ich würde so schnell wie möglich den Berthold-Beitz-Boulevard bis zum Hauptbahnhof ausbauen, weil wir für die Straßenbahn diese Linie brauchen. Um das klar zu sagen: Die Tunnel sind bereits heute ausgelastet. Wenn mehr Menschen umsteigen, brauchen wir neue Fahrwege.

Warum ist das in Essen so schwierig, warum glauben wir so sehr an den Straßenbau? Wenn die wirtschaftliche Prosperität an Autobahnen liegen würde, müsste in Duisburg doch Vollbeschäftigung herrschen.

Da ist schon was dran. Andere Großstädte wie München oder Düsseldorf sind tatsächlich alles andere als autogerecht, im Gegenteil, wer mit dem Auto in die Stadt will, dem wird es schwer gemacht, der findet keinen oder nur einen überteuerten Parkplatz. Das ist in Essen noch ein schwieriger Weg, aber, wie schon gesagt, einfach kann jeder.