Essen. Im Januar kommenden Jahres beginnt an den Gerichten die neue Amtsperiode für Schöffen. Mindestens knapp 1800 Vorschläge sind alleine in Essen nötig für die Wahl der ehrenamtlichen Richter. Noch gibt es zu wenig Interessenten. Zwangsverpflichtet werden soll aber noch nicht.
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“ – dieser Satz dürfte vielen aus Büchern, Film und Fernsehen bekannt sein. Deutsche Gerichte entscheiden jedoch nicht nur im Namen des Volkes, sondern auch direkt durch das Volk – mit Hilfe von Schöffen, die als ehrenamtliche Richter in Strafrechtsverfahren bei Gericht mitwirken. Sie werden auf fünf Jahre gewählt, am 1. Januar 2014 beginnt die neue Amtsperiode. „Doch wir haben wie alle Großstädte das Problem, die geforderte Anzahl überhaupt zu erreichen“, beklagt Dieter Bußmann vom Amt für Rats-Angelegenheiten und Repräsentation.
Mindestens 1784 Wahlvorschläge – 1344 für das Schöffen- und 440 fürs Jugendschöffenamt – werden benötigt. Doch dass es an Bewerbern mangelt, heißt es nicht, dass jeder, der sich aufstellen lässt, Schöffe wird. Maximal jeder Zweite kommt zum Zug. „Das Gesetz verlangt, dass wir doppelt so viele Vorschläge machen, wie Schöffen benötigt werden“, sagt Harald Pletzke, der sich beim Jugendamt ums Thema Jugendschöffenwahl kümmert.
Jeder Bürger kann Schöffe werden
Pletzke hat nur noch wenige Tage Zeit, die Liste fertigzustellen, damit sie rechtzeitig im Jugendhilfeausschuss beraten werden kann. Und wenn’s nicht klappt? Was passiert, wenn sich nicht genug Freiwillige finden? Pletzke: „Theoretisch kann jeder Bürger verpflichtet werden. Manche Städte lassen einen Zufallsgenerator über die Einwohnerdatenbank laufen, um ihre Schöffen zu finden. Wir in Essen wollen das nicht.“ Für Stadtsprecherin Nicole Mause ist das ebenfalls klar: „Wir arbeiten erst einmal daran, die notwendigen Zahlen zu erreichen.“ Es seien Infoveranstaltungen geplant, ähnlich wie die am vergangenen Montag in der Volkshochschule. Mehr als 40 Essener kamen, um den Worten von Ulla Sens, Vorsitzende der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, und denen von Gerd Richter, einst Jugendrichter am Amtsgericht Essen, zu lauschen.
Und wenn sich die Freiwilligen trotz aller Mühen nicht finden lassen? Wird dann verpflichtet, so wie es laut Dieter Bußmann in Essen bereits einmal der Fall war? „Das kommunizieren wir dann“, sagt Nicole Mause wortkarg und sehr darum bemüht, die Worte „Zwang“ und „verpflichten“ nicht zu verwenden.
Schöffe seit 15 Jahren
Einer, der – mit Unterbrechung – seit nunmehr 15 Jahren Schöffe ist „und dieses Ehrenamt liebend gerne weitere fünf Jahre machen will“, ist Henno Dern. Als ehrenamtlicher Richter, der im Gegensatz zu den Berufsrichtern nicht über eine juristische Ausbildung verfügt, hat der pensionierte Lehrer in unzähligen Verfahren der Jugendstrafkammern mitgewirkt. „Das Schöffenamt ist mit sehr viel Verantwortung verbunden. Man entscheidet auch darüber, ob jemand eine Freiheitsstrafe bekommt und ins Gefängnis muss.“ Vom Schwarzfahrer bis zum Mörder – die Verfahren sind vielfältig.
Thomas Kutschaty, der als NRW-Justizminister wie alle anderen Bundes- und Landesminister, Berufsrichter, Rechtsanwälte, Polizisten und der Bundespräsident nicht Schöffe werden darf, wirbt bei des Essenern fürs Ehrenamt. Der Einsatz von Schöffen stärke die gesellschaftliche Akzeptanz von richterlichen Entscheidungen „und damit das Vertrauen in die Strafjustiz“. Als Laien unterstützten sie Berufsrichter in Verhandlungen und bei der Urteilsfindung und trügen dazu bei, den Strafprozess für alle Beteiligten transparent und verständlich zu gestalten. „Eine gerichtliche Entscheidung, die dem Laienrichter einleuchtet, wird auch bei anderen Bürgerinnen und Bürgern mehr Verständnis finden“, sagt der Borbecker.
Ehrenamtliche Richter zu beteiligen, hat in Deutschland eine lange Tradition und das System wurde trotz mehrerer Änderungen von Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz nie ernsthaft in Frage gestellt. Die Schöffen sollen in ihrem Ehrenamt als Vertreter des Volkes dazu beitragen, dass das Verständnis der Bevölkerung für die Strafrechtspflege gefördert wird.
Schöffen und Jugendschöffen
Schöffen wirken am Landgericht bei Verfahren der (Erwachsenen-)Strafkammern mit, Jugendschöffen bei Verfahren in Jugendstrafkammern.
Bei der vergangenen Schöffenwahl für die laufende Amtsperiode 2009 bis 2013 wurden für die Strafkammern 300 Hauptschöffen und 300 Hilfsschöffen gewählt. Für die Jugendstrafkammern sind es 42 Schöffen und 50 Hilfsschöffen. Hilfsschöffen werden immer dann eingesetzt, wenn die Hauptschöffen verhindert sind.
Wer als Schöffe ausgewählt wird, ist verpflichtet, das Amt anzunehmen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Mitarbeiter für Verhandlungen freizustellen.
Voraussetzung ist gesunder Menschenverstand
Jeder, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, kann erst einmal in das Schöffenamt berufen werden – so lange er am 1. Januar 2014 nicht jünger als 25 und älter als 70 Jahre ist. Bei der Wahl durch den Wahlausschuss, in dem Vertreter des Gerichts und der Stadt sitzen, wird darauf geachtet, dass die künftigen Schöffen einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden. Es müssen genau so viele Frauen wie Männer sein, getrennt nach den drei Amtsgerichtsbezirken Steele, Borbeck und Essen.
In den Strafverfahren der Amts- und Landgerichte ist es insbesondere die Aufgabe der Schöffen – neben der rein juristischen Sichtweise – die Lebenswirklichkeit in die Urteilsfindung mit einfließen zu lassen. Schöffen sollen unbeeinflusst in Sitzungen gehen und sich allein von dem Eindruck der Hauptverhandlung leiten lassen. Aus diesem Grund ist ihnen ein Blick in die Gerichtsakten nicht gestattet. Schöffen haben allerdings vor Verhandlungen das Recht, über alle relevanten Aspekte unterrichtet zu werden. Juristische Begriffe und Probleme müssen ihnen erläutert werden. Während der Verhandlungen haben Schöffen die Möglichkeit Zeugen, Sachverständige und Angeklagte zu befragen. Sie entscheiden letztlich gemeinsam mit dem Berufsrichter über die Schuld- und Straffragen des jeweiligen Verfahrens. Schöffen erstattet das Gericht eine Aufwandsentschädigung und übernimmt Fahrtkosten und Parkgebühren. Circa zwölf Verhandlungstermine jährlich müssen Schöffen wahrnehmen. Wer Jugendschöffe werden will, muss in der Jugenderziehung erfahren und befähigt sein, etwa als Elternteil, Lehrer oder Ausbilder.
Infos und (Online-)Formulare gibt es auf www.schoeffenwahl.de, unter www.essen.de sowie telefonisch bei : Dieter Bußmann (Schöffen) unter 88 15 107 und Harald Pletzke (Jugendschöffen) unter 88 51 772. Meldeschluss ist der 17. Mai.