Essen. . Anmerkungen zum Stadtgeschehen von Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Stadtredaktion Essen.

Wir geben normalerweise nicht viel auf Rankings. Haben wir nicht neulich erst gelesen, wie doof es ist, in Essen zu wohnen? Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hatte das in einer bundesweiten Online-Umfrage herausgefunden und uns leider nur den letzten von 14 Plätzen zugestanden.

Auch beim Glücksatlas der Deutschen Post schnitten wir vergangenes Jahr nicht besser ab: Uns blieb der 13. von 13 Plätzen in der Frage der Städtezufriedenheit, und während der erste Reflex prompt darin lag, der Post zu bescheinigen, dass auch wir mit ihrer Leistung nicht durchgehend glücklich sind, seufzten wir der Fortune hinterher, die jene Stadt ereilte, die als 14. wohl auch ziemlich unzufrieden macht, die aber nicht mehr ins Ranking hineinpasste.

Milleus, in denen sich hochproduktive Menschen wohlfühlen

Aber dann kommt da jetzt das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut gemeinsam mit der feinen Berenberg Bank um die Ecke und bescheinigt der Stadt Essen einen katapultartigen Sprung von Platz 21 in die Top Ten, genauer: auf Platz 10 von 30 Großstädten. Weil es, wie sich HWWI-Chef Professor Thomas Straubhaar im Manager Magazin vernehmen lässt, dieser Stadt gelungen sei, „Milieus zu schaffen, in denen sich hochproduktive Menschen wohlfühlen“.

Er sagte dann noch was von den „Transformationen zur wissensbasierten Wirtschaft“, während unsereins ein wenig die Begeisterung abhanden kam, weil die Studie bei näherer Betrachtung nur eine rückwärtsgewandte Betrachtung bis ins Jahr 2010 darstellt, und etwa genau jene Konzerne, von denen Straubhaar spricht, sich derzeit anschicken, massenhaft Personal abzubauen.

Wir genießen - und schweigen

Es gab dennoch keinen, der sich die lobende Steilvorlage verleiden ließ: Der Initiativkreis Ruhr triumphierte, die städtischen Wirtschaftsförderer sprachen von einem „Stolzmach-Ergebnis“, und auch der Oberbürgermeister ließ es sich beim Richtfest am „Seebogen“ in Kupferdreh gestern nicht nehmen, die lobenden Überschriften überregionaler Medien über Essen zu zitieren. Derweil machten CDU und SPD deutlich, wer von ihnen in der Sicht auf die Stadt richtig liegt: Die SPD sieht da die Sozialdemokraten vorn, die CDU die Christdemokraten.

Nein, wir wollen hier nichts schlechtreden, weil Essen wie auch – da sind wir solidarisch – so manche andere Ruhrgebietsstadt für unseren Geschmack schon genug runtergemacht wird. Und dieses oberflächliche Gequatsche, wie schrecklich es hier vermeintlich ist, hat ja auch den Effekt einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Wo man sich mal von der Deutschen Post, mal vom Spielfilm-Sender Pro 7 oder der Mucki-Zeitschrift Men’s Health sagen lassen muss, wie öde es hier ist, kommt unsereins mit seinen gänzlich anderen Erfahrungen nur schlecht dagegen an.

Jetzt aber bescheinigen HWWI und Berenberg Bank, beide aus Hamburg (Platz 11, eins hinter uns, haha) Essen, dass die Stadt Zukunft hat. Wir genießen – und schweigen.