Essen. . Die meisten Prozesse vor den Strafgerichten enden nach wenigen Sitzungstagen. Ein Wirtschaftsprozess am Landgericht Essen sprengt diesen Rahmen. Am Freitag „feierte“ das Gericht den 100. Sitzungstag.

Sekt gibt es nicht, auch Schnittchen fehlen. Es ist eher ein internes Jubiläum, das den meisten Prozessbeteiligten auch nicht gerade Freude bereitet. Seit 100 Tagen prozessiert jetzt die XV. Strafkammer am Landgericht Essen gegen drei mutmaßliche Betrüger, die mit Internet-Gewinnspielen laut Anklage älteren Menschen rund zwei Millionen Euro entlockt haben sollen. Vor über zwei Jahren, am 4. Oktober 2010, begann der Prozess im Saal B 23.

Die Bilder gleichen sich, egal zu welcher Zeit man den Prozess verfolgen will. Entweder verliest das Gericht ellenlange Auszüge aus den Akten, oder der Hauptangeklagte Ahmet A. (37) redet. Er gilt als Kopf einer mutmaßlichen Bande, die am Flachsmarkt in der Essener City saß und Adresslisten mit den Namen älterer Menschen „gewinnbringend“ nutzte. Sie ließen Callcenter-Agenten bei den Senioren anrufen: Diese seien kostenpflichtig in mehreren Internet-Gewinnspielen verzeichnet. Eine Kündigung sei aber gegen Zahlung von 89,85 Euro möglich. Viele sollen bezahlt haben, selbst wenn sie keinen Computer mit Internet-Anschluss besaßen.

Angeklagter redet wie ein Jurist

Der Prozess stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Das mag an Ahmet A. liegen, der sehr gerne redet, Zeugen im Stil eines gelernten Juristen eingehend befragt und immer wieder „Herrn Wrobel“ direkt anspricht. Zwischenzeitlich auf freiem Fuß, sitzt Ahmet A. wieder ein, seitdem die Hagener Justiz ihm vergleichbare Delikte vorwarf. Attestiert wird A. in ähnlich beredter Weise von seinem Verteidiger, der mittlerweile ohne Robe im Saal sitzt. Es heißt, er musste wegen finanzieller Probleme seine Zulassung als Rechtsanwalt zurückgeben. So schlecht ist das Honorar für Pflichtverteidiger gar nicht: Pro Prozesstag kassiert jeder rund 400 Euro; dauert der Sitzungstag länger als vier Stunden, gibt es noch einmal 356 Euro dazu. Damit die formalen Voraussetzungen beim Angeklagten A. erfüllt sind, hat das Gericht einen anderen Rechtsanwalt als Verteidiger beigeordnet.

Richter Volker Wrobels gründliche Art neigt nicht dazu, kurzen Prozess zu machen. Den unzähligen Anträgen der Verteidiger geht das Gericht nach. Vom oft erwarteten Abschluss des Verfahrens musste deshalb immer wieder abgerückt werden. Wrobel ist längst zu einer Zivilkammer gewechselt, das Betrugsverfahren muss er aber weiter führen.

Schon zur Anklageverlesung kam es im Oktober 2010 nur mit Verspätung. Die Verteidiger hatten damals die Besetzung des Gerichtes gerügt, Befangenheitsanträge gestellt und kritisiert, dass Staatsanwalt Jörg Menard bei einem ihrer Anträge die Augen verdreht habe. An dieser Stimmung hat sich wenig geändert. Termine hat das Gericht bis in den September terminiert. Aber den 100. Sitzungstag am Freitag beendete Richter Wrobel mit dem Hinweis fürs Protokoll, dass beim nächsten Mal plädiert werden soll. Abwarten.