Essen. In den Ausnüchterungszellen im Essener Polizeigewahrsam wird vorübergehend eingesperrt, wer betrunken randaliert hat oder auf einen Haftbefehl wartet. Raus kommt nur, wer ausgenüchtert ist oder vor dem Haftprüfungsrichter Gnade gefunden hat. Doch manch einer verbringt ganz gerne eine Nacht in der Zelle.

„Wie lange dauert das denn noch? Es ist hart, und ich kann nicht schlafen.“ Seit dem Mittag ist er eingesperrt, liegt auf dem Boden mit einer Wolldecke, den Kopf neben dem Edelstahlplumpsklo, das in den Fußboden eingelassen ist. Zwölf geflieste Quadratmeter mit Fußbodenheizung, in denen er ausnüchtert. Halb fünf am Sonntagmorgen ist es, „gegen sechs können sie gehen“, sagt Gerhard Dreyer, Leiter des Essener Polizeigewahrsams, durch eine Luke in der Tür. Stündlich geht die Klappe auf, sehen Beamte nach dem jungen Familienvater.

Volltrunken ist er eingeliefert worden vor 17 Stunden. „Aus den Papieren können wir sehen, dass er zu Hause randaliert hat“, sagt Dreyer. Die Frau hatte die Polizei gerufen, die der Mann aggressiv und mit wüsten Beschimpfungen empfing. Zum Ausnüchtern nahmen die Beamten ihn mit, werden ihn am Sonntagmorgen wieder entlassen. Zuvor gibt‘s die Ansage, in den nächsten zehn Tagen nicht in die häusliche Wohnung zurückzukehren. Den Schlüssel behalten die Beamten so lange.

„Gewaltbereitschafthat zugenommen“

Alltag im Polizeigewahrsam. Betrunkene sind unter den Insassen und Kriminelle, die auf ein Verhör warten oder nachts festgenommen wurden und nun dem Haftrichter vorgeführt werden sollen. Wie jener Dieb, der in der Innenstadt verhaftet wurde und eine „Diebstahlsvorrichtung“ bei sich trug, so die Polizei. Ein paar Etagen höher schläft ein Obdachloser, der klaute und bei dessen Überprüfung sich zeigte: Es gibt einen Haftbefehl zur Abschiebung. Die Zahl derjenigen, die hier untergebracht werden, hat sich laut Dreyer über die Jahre nicht erhöht, „doch die Gewaltbereitschaft nimmt zu“.

Im Gefängnis

Eine Nacht in Polizeigewahrsam.
Eine Nacht in Polizeigewahrsam. © WAZ FotoPool
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So hat die Polizei sich längst auf die Eigenheiten der „Kundschaft“ eingestellt. Dreyer schnappt eine Notiz von seinem Schreibtisch, in dem eine neue Masche beschrieben wird, bei der die Gefangenen im Gewahrsam Nase, Ohren und Mund verschließen und so lange versuchen, heftig auszuatmen, bis sie zusammenbrechen, in der Hoffnung, bei der Verlegung in ein Krankenhaus fliehen zu können.

Aus dem Gewahrsam zu entkommen, ist schwierig

Denn aus dem Gewahrsam zu entkommen, ist schwierig. Panzerglas und Gitter gibt es. Gänge und viele Zellen des vor rund elf Jahren in Betrieb genommenen Gewahrsams, das in einem Trakt des Polizeipräsidiums an der Büscherstraße untergebracht ist, sind kameraüberwacht. Raus kommt nur, wer ausgenüchtert ist oder vor dem Haftprüfungsrichter Gnade gefunden hat. Jeden Morgen sichtet ein Richter die neuen Fälle, entscheidet, ob die Betroffenen in Untersuchungshaft kommen und in die Justizvollzugsanstalt verlegt werden, oder ob sie gehen dürfen.

Zeit für einen neuen Rundgang. Wieder werden die Klappen in den Zellentüren geöffnet, dringt beißender Alkoholgeruch aus den Zellen. „Man gewöhnt sich an alles“, sagt eine Mitarbeiterin aus Dreyers Mannschaft vor der Tür, in der ein „Stammkunde“ nächtigt. „Gerade im Winter ist es vielen gar nicht unlieb, hier zu sein.“ Runter von der Straße, Wärme, es wird nicht geklaut. Zum 49. Mal sitzt der Obdachlose hier. Im Krankenhaus hatte er randaliert, war unzumutbar für die anderen Patienten. „Hier kann er ausschlafen“, sagt Dreyer, der ihn bald auf freien Fuß lassen wird – bestimmt nicht zum letzten Mal.