Essen. Im Westen der Stadt wird jetzt zum ersten Mal ein kleines bisschen Solidarität gefordert. Doch der ansässige Gutbürger scheint auf besonders grandiose Weise an dieser Herausforderung zu scheitern. Es fremdelt ungeheuerlich: „Roma raus“ – dies ist die Botschaft, die Bedingrade zur Zeit aussendet - ein Kommentar von Jörg Maibaum.

Wir haben den Klimawandel, die Eurokrise, die Rente ohne Zukunft und wir haben – die Roma. Tausende Menschen werden in diesen Tagen in eine Reihe mit wirklichen Existenzbedrohungen gestellt. Es ist grotesk: Während sich um die großen Probleme dieser Welt kaum jemand zu scheren scheint, steht ein ganzer Stadtteil mit einer erschreckenden Leidenschaft des Neinsagens nahezu kopf, kaum dass nicht einmal 60 Menschen in einer Turnhalle an der Lohstraße Obdach finden. Für zwei Wochen, nicht länger. Das hat die Stadt schriftlich.

Dennoch fordern Bedingrader Bürger auf Unterschriftenlisten „eine gerechte Verteilung im Stadtgebiet“. Dafür machen sich ausgerechnet Bewohner eines Stadtteils stark, der über Jahrzehnte von allen Asylnöten verschont geblieben ist, während tausende andere in der Stadt mit einem Übergangsheim in ihrer Nachbarschaft leben gelernt haben, es bis heute müssen und vielleicht feststellten: Es ist zwar nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, doch es gibt wahrhaft Schlimmeres.

Diese Erfahrung fehlt im Westen völlig. Dort wird jetzt zum ersten Mal ein kleines bisschen Solidarität gefordert. Doch der ansässige Gutbürger scheint auf besonders grandiose Weise an dieser Herausforderung zu scheitern. Es fremdelt ungeheuerlich: „Roma raus“ – dies ist die Botschaft, die Bedingrade zur Zeit aussendet. Sie war tatsächlich zu lesen im Stadtteil, auf Stein geschmiert.

Beschämend. Und auch wenn man mit der braunen Brut, die gestern als verlorenes Häuflein unterm Wasserturm wiederholt Komisches kundtat, ausdrücklich nichts zu tun haben will – angelockt wird sie natürlich von derlei dunkeldeutschen Schwingungen.

Aus "Roma raus" wird "Aromabrause"

Doch zum Glück für uns alle gibt’s auch andere: Bürger, die Spielzeug für die Kinder unter den Neuankömmlingen hervorkramen, die an der Lohstraße einen Karton voller Schokolade als kleines Willkommen abgeben oder exquisiten deutschen Mutterwitz beweisen, indem sie aus der rassistischen Schmiererei „Roma raus“ einfach „Aromabrause“ machten und unter diesem Motto gestern Abend selbstbewusst zur Demo gegen Rechts und den ein oder anderen Nachbarn aufriefen. Schon mal probiert, sowas? Das prickelt.

Und tut gut, denn schalen Nachgeschmack gibt’s zur Genüge. Das Problem der so genannten Wirtschaftsflüchtlinge ist ein ungelöstes, weil es die EU nicht schafft, europaweite Aufnahmequoten zu verordnen; weil das Land Kommunen wie Bezirksregierung mit der Logistik der Unterbringung auf Zuruf überfordert, anstatt einen Krisenstab ins Leben zu rufen, der für gut sortierte Lösungen sorgt; weil auf der europäischen Ebene nichts dafür getan wird, die Roma in ihren Heimatländern vor Menschenrechtsverletzungen und staatlicher Diskriminierung zu schützen; weil die uneingeschränkte Visafreiheit ihren Preis hat, der natürlich am Steuerzahler hängen bleibt.

Politische Fehleistung

Es gibt in der Tat mehr als genug Gründe, mit der aus vielen Versäumnissen und politischen Fehlleistungen resultierenden Situation unzufrieden zu sein. Dafür können die Familien aus Serbien und Mazedonien allerdings am allerwenigsten.