Essen. . Die zunehmende Zahl an untergebrachten Flüchtlingen in der Lohstraße hat eine Protestwelle bei den Anwohnern ausgelöst. Eine Bürgerversammlung in Bedingrade diente als Ventil für den Volkszorn und zur Klärung einiger Fragen.

Nach 90 Minuten sind sie alle schweißgebadet, wie nach einem anstrengenden Fußballspiel. Klaus Diekmann ordert als Organisator des Abends erst mal erleichtert eine Runde Pils, während mit den Scharen von Bürgern so langsam auch die Hitze aus der überfüllten Gaststätte Große Segerath weicht.

Um den Balkan geht’s hier am Rande des gutbürgerlichen Bedingrade sonst nur auf der Speisekarte, die zwischen Serbischer Bohnensuppe, Lustigem Bosniak und Muckalica keinen Klassiker auslässt. Aber diesmal waren fast 300 Besucher der großen Politik wegen hergekommen, es ging um Asyl, um Roma-Flüchtlinge aus Serbien und Mazedonien und die Frage, wie (un)erträglich es ist, 55 von ihnen schräg gegenüber in der Turnhalle der leerstehenden Hauptschule an der Lohstraße zu wissen.

Widerstand der Anwohner

„Wehret den Anfängen“, sagt einer, und die Unterschriftenliste „gegen eine zentrale Unterbringung von Asylbewerbern im Wohngebiet an der Lohstraße“ wird ein Erfolg, obwohl sie schon zu Beginn der Bürgerversammlung überholt ist. Denn das Asyl ist eines auf Zeit, zwei Wochen lang. Das haben viele, aber noch nicht alle mitbekommen, die Stimmung ist gereizt, der Volkszorn kocht, denn es geht ja um Leute, deren Leben man – „faria faria ho“ – als lustig besingt, aber längst als armselig entlarvt weiß.

Hemmungen, mit den Roma Kriminalität zu verbinden, gibt es hier und heute keine, und darum muss Sozialdezernent Peter Renzel nicht nur Rede und Antwort stehen, „vor wem die eigentlich geflüchtet sind“, „warum man die nicht sofort in einen Bus setzt und wieder nach Hause schickt“ und wer wann was gewusst und wen zu spät darüber informiert hat, dass „diese Typen“ kommen. Sondern auch: Was mache ich, wenn die an der Haustür betteln, und die zerkratzen hinterher aus Wut das Auto?

Politiker rufen zur Vernunft auf

Die Ängste sind diffus, die Stimmung schaukelt mal hoch mal runter. Hin und wieder, wenn ihm pöbelnde Zwischenrufe zu bunt werden, ruft CDU-Ratsherr Diekmann in Erinnerung, dass er die Roma in Augenschein genommen hat und ahnt, „dass jetzt die ersten Fahrräder angekettet werden“. Aber – wie paart man Einfühlungsvermögen am besten mit einem Appell an die Vernunft? – „ich habe nicht den Eindruck, dass die jetzt durch ihre Vorgärten ziehen“.

Manchen Beobachter mag es erstaunen, aber die von der CDU gewährte Gelegenheit, Dampf abzulassen, den souverän aber nicht teilnahmslos wirkenden Sozialdezernenten im „Nahkampf“ mit Fragen zu löchern, die persönliche Informationslücke mit dem aktuellsten Stand aufzufüllen, wirkt. Vorausgesetzt, man schaut über aggressive Hetzparolen einzelner Zwischenrufer großzügig hinweg, kann verschmerzen, dass manches Gestammel der Kritiker klaglos ertragen wird, die Schilderung des Roma-Elends durch andere Gäste aber im Gejohle untergeht – und vorausgesetzt, man blendet aus, dass ausgerechnet die Bitte der linken Ratsfrau Gabriele Giesecke, nicht auf NPD-Parolen reinzufallen, einen wahren Sturm der Entrüstung entfacht.

Unterbringung in der Turnhalle ist keine dauerhafte Lösung 

Die Handvoll Neonazis im Saal wird’s gefreut haben, und man muss sich zwingen, nicht darüber zu sinnieren, was hier in Bedingrade wohl los wäre, würde das Turnhallen-Asyl zur Dauerlösung. Der Firnis der Mitmenschlichkeit bekommt Risse an diesem Abend, wenngleich einer der Wortführer der örtlichen Initiative ausdrücklich betont: „Wir lassen uns vor keinen Karren spannen.“

Das ist schon deshalb leicht gesagt, weil Bedingrades Asylproblem am 31. Oktober vom Tisch sein soll: Die schriftliche Zusage, die Turnhalle dann nicht mehr zu benötigen, liegt aus Arnsberg vor, und „wenn ich dem Regierungsvizepräsidenten nicht mehr Glauben schenken kann“, so Sozialdezernent Renzel, „dann weiß ich auch nicht mehr“.

Situation ist entschärft

Skepsis bleibt: „Unser Vertrauen müssen Sie sich erst wieder erarbeiten“, schlägt es Renzel entgegen, und der verspricht ein stets offenes Ohr, gibt seine Büronummer als Servicestelle an und weiß doch, dass ihm andernorts demnächst eine Wiederholung der „Hier nicht“-Debatte droht. Immerhin, er sieht nicht die Politik, sondern die Stadt in der Pflicht, Bürgerversammlungen zu organisieren, „bei solchen Situationen müssen wir als erste aus der Kurve kommen“.

Am Ende gibt es Beifall von allen, die Hitze entweicht, das Bier kühlt zusätzlich. Der Sozialdezernent schaut noch kurz bei den Roma vorbei, am Zaun steht das Fahrrad eines Besuchers, angekettet.

Macht man doch auch sonst so.