Essen. . Turnhallen für die Unterbringung von Asylbewerbern können nur eine kurzfristige Lösung sein, sagt Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW. Mit Blick auf die aktuelle Diskussion warnt sie vor Panikmache. Wichtig sei vor allem, dass den Menschen “ein Dach über dem Kopf“ angeboten werde.
In Essen wird gerade zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder eine Turnhalle für Asylbewerber hergerichtet, weil der Platz in den zentralen Aufnahmestellen des Landes nicht ausreicht. An der Lohstraße in Bedingrade, wo die Menschen unterkommen sollen, macht sich Unsicherheit breit. Ein Gespräch mit Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW.
Frau Naujoks, wer kommt da und warum?
Birgit Naujoks: In der ersten Jahreshälfte kamen in erster Linie Flüchtlinge aus Syrien, nun steigt tatsächlich vor allem die Zahl der Menschen aus Serbien und Mazedonien. Fast 100 Prozent von ihnen sind Roma, die in diesen Ländern vom Staat systematisch diskriminiert werden.
Warum kommen sie gerade jetzt in größerer Zahl?
Naujoks: Zum einen gibt es zu dieser Jahreszeit immer einen Anstieg, weil die Winter dort besonders hart sind. Zum anderen haben die Übergriffe in jüngster Zeit zugenommen.
Mancher behauptet, die Erhöhung des Hartz IV-Satzes für Asylbewerber um 94 Euro habe einen Anreiz geschaffen.
Naujoks: Die Leute werden sich natürlich freuen, dass sie etwas mehr Geld bekommen, aber das ist nun mal das Existenzminimum, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat. Diese Erhöhung wird niemals Anlass oder Grund gewesen sein, die Heimat zu verlassen.
In Essen und anderswo passiert nun alles ziemlich überstürzt. War das zwangsläufig?
Naujoks: Aus unserer Sicht nicht. Seit dem historischen Tiefstand bei den Asylanträgen im Jahr 2007 steigen die Zahlen stetig, die Politik hätte früher reagieren müssen. Zwar hat man in Bielefeld eine zusätzliche Aufnahmestelle geschaffen, aber es war absehbar, dass das nicht lange reicht. Statt Lösungen zu finden, spricht der Innenminister nun in aller Öffentlichkeit von Asylmissbrauch. Das ist Panikmache.
Sie fühlen sich an alte Zeiten erinnert?
Naujoks: Absolut. Ich warte ja nur auf die Schlagzeile: „Das Boot ist voll.“ Dabei sind die jetzigen Zahlen mit denen von Anfang der 90er Jahre überhaupt nicht zu vergleichen. 1992 gab es in Deutschland 428.000 Asylanträge, dieses Jahr werden 60.000 erwartet. Es gibt zwar einen deutlichen Anstieg, aber von einem geringen Niveau.
Chancen auf Anerkennung sind gering
Wie stehen Sie zu der Art und Weise, in der Bezirksregierung und Städte nun reagieren?
Naujoks: Wir sind nicht glücklich darüber, aber wichtig ist jetzt ein Dach über dem Kopf. Auf kurze Sicht ist die Unterbringung in Sammelunterkünften wohl der einzig mögliche Weg. Allerdings muss schnell eine langfristige Lösung gefunden werden. Wer hierher kommt und Schutz sucht, den sollte Deutschland nicht in überfüllten Turnhallen empfangen.
Vor Ort gibt es Stimmen, Essen werde über Gebühr belastet.
Naujoks: Die Verteilung erfolgt nach Größe und Einwohnerzahl, insofern hat Essen mehr Asylbewerber aufzunehmen als kleinere Städte. Natürlich kommen auf die Kommunen Kosten zu. Deshalb fordern wir die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und eine stärkere Beteiligung des Bundes.
Die Chance auf Anerkennung von Roma-Flüchtlingen scheint ohnehin gering. Kennen Sie Fälle, in denen Anträge Erfolg hatten?
Naujoks: Die Quote liegt tatsächlich bei unter einem Prozent. Das hat damit zu tun, dass Serbien und Mazedonien auf der Liste der sicheren Länder stehen. Ich bin überzeugt, dass es andere Prüfungen gäbe, lägen diese Länder weiter weg und nicht am Rande Europas.
Handelt es sich aber nicht vielmehr um ein Armutsproblem als um ein Asylproblem?
Naujoks: Es gibt ein Armutsproblem und unser Asylsystem ist nicht die Lösung dafür. Aber die Armut der Roma entsteht dadurch, dass sie strukturell benachteiligt werden. Insofern kann man durchaus von Verfolgung sprechen.
Wie geht es in Essen nun weiter?
Naujoks: Beim Bundesamt für Flüchtlinge gibt es schon länger die Weisung, Asylanträge aus Serbien und Mazedonien bevorzugt zu behandeln, oft sind sie innerhalb von zwei Monaten bearbeitet. Es könnte also sein, dass viele Roma noch aus den zentralen Unterkünften abgeschoben werden und gar kein Mehraufwand für die Kommunen entsteht.
Die allgemeine Stimmung ist eine andere.
Naujoks: Das besorgt mich. Ich sehe es als hochgefährlich an, wie in der Politik Ängste geschürt werden. Dabei hat man sich gerade erst dafür entschuldigt, was in Rostock-Lichtenhagen passiert ist. Diese Stimmungsmache ist verantwortungslos.