Essen. NRZ-Lokalchef Wolfgang Kintscher sprach auf der Gewerbeimmobilienmesse „Expo Real“ in München mit dem Vorstandschef der Stiftung Zollverein, Hermann Marth. Im Interview erklärt Marth sein ungutes Gefühl beim Scheich-Deal, den Nutzen des Doppelbocks und er beantwortet die Frage, ob die Entwicklung des Areals nicht zu langsam verläuft.
NRZ: Herr Marth, beim letzten Zollverein-Auftritt auf der „Expo Real“ haben Sie noch große Erwartung geweckt: Wenn erst mal die 130 Millionen Euro fürs Scheich-Investment fließen, so haben wir Sie noch im Ohr, dann wird das ein Quantensprung für den Standort. Tja. Wer jetzt nicht kommt, ist der Scheich. Überrascht?
Hermann Marth: Nein, wirklich überrascht bin ich eigentlich nicht. Als professioneller Immobilienentwickler, der die Branche seit vielen Jahren kennt, weiß man: Aus Projekten, die sich über eine so lange Zeit hinziehen, bis sie vertraglich in trockenen Tüchern sind, kann nichts werden. Ich hatte ehrlich gesagt kein gutes Gefühl dabei.
Seit wann schon?
Marth: Eigentlich schon seit längerer Zeit, aber da wir als Stiftung Zollverein ja nicht direkt in die Verhandlungen eingebunden waren, konnte ich nur aus einigem Abstand diesen Schluss ziehen. Sei’s drum, im Endeffekt ist es gut, dass jetzt ein Schnitt gemacht wurde. Und dass wir nun alle Chancen haben, das Gelände komplett neu zu überdenken.
Hätte man die Reißleine vielleicht früher ziehen sollen, um diese jahrelange Hängepartie zu vermeiden?
Marth: Das kann ich nicht beurteilen. Für den Standort ist nur eines entscheidend: dass die Folkwang Universität gebaut wird. Und da habe ich vom Land den unabdingbaren Willen gehört, dass es bei seiner Zusage bleibt.
Im Schatten von Zollverein
Und vom Scheich-Deal bleiben nur lange Gesichter und der Seufzer über eine wieder mal geplatzte Seifenblase auf Zollverein?
Marth: Aber das sind doch, mit Verlaub, überkommene Vorstellungen: Zollverein als Fass ohne Boden, Zollverein in ständiger Diskussion, Zollverein, wo nichts klappt – das Gegenteil ist der Fall. Zollverein und sein Doppelbock sind mittlerweile international und weltweit der Inbegriff für Industriekultur. Es können sich nur all diejenigen gratulieren, die die Grundsatzentscheidungen gefällt haben, dass der Ausbau von Zollverein in dieser Form stattgefunden hat. Denn wir werden in Zukunft mehr private Investitionen haben, als die öffentliche Hand als Grundinvest gegeben hat.
Was noch zu beweisen wäre...
Marth: Ja, aber wir sind doch schon mittendrin: Allein die Entwicklung der Kokerei mit RAG Montan Immobilien beschert Aktivitäten für um die 50 Millionen Euro. Ich könnte aber auch volkswirtschaftlich argumentieren: Laut einer Analyse für das Jahr 2010 sind von den 10,5 Millionen Besuchern der Kulturhauptstadt 2,2 Millionen auf Zollverein gewesen. Wenn man das nach wissenschaftlich belegten touristischen Kennzahlen runterrechnet, ist uns damit allein für 2010 ein Umsatz von ungefähr 120 Millionen Euro mit einer Wertschöpfung von 60 Millionen zuzuordnen...
Das klingt, als nerve Sie die Diskussion um die öffentlichen Investitionen. Finden Sie den damit verbundenen Rechtfertigungszwang kleingeistig?
Marth: Was heißt kleingeistig? Ich verstehe ihn schlichtweg nicht, denn wir haben mit Zollverein eine Ikone, die sich jede andere Region wünschen würde. Um Zollverein beneiden uns alle, Zollverein ist erfolgreich und strahlt in die Region aus. Nicht umsonst wird jetzt bei der Unesco der Antrag gestellt, den Welterbetitel auch auf andere Ikonen der Industriekultur auszuweiten. Diese Industriekultur ist es, die uns in der ganzen Welt bekannt macht, die zeigt, wofür wir stehen.
Sorgen Sie sich nicht, dass ein ausgedehnter Weltkulturerbe-Status den Effekt für Zollverein eher verwässert?
Marth: Gut, das ist eine Diskussion, die man führen kann. Dennoch: Zollverein hat sich in einer Art und Weise entwickelt, dass seine Führungsposition in dieser Frage nicht mehr in Frage gestellt werden kann.
Gleichwohl wachsen Scheichs und andere 130-Millionen-Investoren selbst auf so einer Gewerbeimmobilienmesse wie der „Expo Real“ hier in München nicht auf Bäumen. Wäre es nicht hilfreich gewesen, man hätte neben der schlechten Nachricht, dass der Scheich rausfliegt, sofort auch die gute parat gehabt, dass es trotz allem weitergeht?
Marth: Natürlich hätten wir uns eine möglichst schnelle Antwort gewünscht, die man womöglich schon hier in München verkünden kann. Aber die Dinge sind dann doch etwas komplexer, als sie vordergründig scheinen. Da geht es um Ausschreibungs-Bedingungen, um Vergaberecht – das muss man in Ruhe prüfen. Ich glaube auch nicht, dass jetzt Schuldzuweisungen ratsam sind...
....aber da sind wir doch mittendrin...
Marth:...ja, aber die helfen keinem. Da sind zwei Partner zueinander gekommen, die lange miteinander diskutiert und erst am Ende festgestellt haben, dass sie vielleicht doch nicht zueinander passen. Das passiert in der Projektentwicklung tagtäglich. Dass es hier so lange gedauert hat, dass es hier eine so immense Bedeutung fürs ganze Ruhrgebiet bekommt, schmerzt natürlich. Umgekehrt muss man aber auch feststellen, dass die Attraktivität des Standortes Zollverein derart zugenommen hat, dass wir hoffnungsvoll in die Zukunft blicken können.
Verstehen Sie die Ungeduld mancher Beteiligten und erst recht der Beobachter und Bürger, denen vieles einfach nicht schnell genug geht? Wie lange reden wir etwa schon über das Kammgebäude auf der Kokereiseite, das Sie für die kleinteilige Kreativwirtschaft reservieren wollen? Wann erleben wir dort denn das quirlige Leben, das mal versprochen wurde?
Marth: Das Kammgebäude wird 2014 grundsaniert sein, wir sind jetzt schon mitten in der Vermarktung. Und dann wird da auch das quirlige Leben stattfinden, das Sie jetzt noch vermissen.
Da nehmen wir Sie beim Wort.
Marth: Dürfen Sie auch.
Deutsche Einheit auf Zollverein