Essen. . Der Präsident der Architektenkammer NRW, Hartmut Miksch, über den Streit um den Hallenbad-Entwurf fürs Thurmfeld, den Einsatz für ein ansprechendes „Außenrum“ am Bau und sein Plädoyer an die Politik, Architekten mehr Vertrauen zu schenken.
Herr Miksch, was glauben Sie, was interessiert Schüler beim Schwimmunterricht mehr: Wie ihre Altersgenoss(inn)en gebaut sind oder das Bad, in dem sie schwimmen?
Ab einem bestimmten Alter geht es sicher vorrangig um die Mitschwimmer, aber verkennen Sie mal eines nicht: Die Umgebung, in der sich jemand aufhält, wirkt – ob man das nun bewusst wahrnimmt oder nicht.
Haben sie Verständnis für jene, die sagen: Interessiert mich alles nicht?
Verständnis wäre zu viel gesagt. Wenn das jemand so formuliert, hat man ihm offenbar die Chance genommen, ein Empfinden dafür zu entwickeln.
So eine Aussage ist unverantwortlich, um das mal ganz deutlich zu sagen. Alles was die Stadt neu baut, muss einem gewissen Anspruch genügen. Und dieser Anspruch erschöpft sich nicht darin zu sagen: Hauptsache, drinnen funktioniert’s, außen rum ist es mir völlig egal. Denn vor dem Außenrum kann sich keiner verstecken, alle müssen mit dem Außenrum leben, ob sie wollen oder nicht. Ein Bild, das mir nicht gefällt, kann ich umdrehen und brauche es mir nicht mehr anzugucken. Einem Gebäude, das irgendwo steht, kann ich dagegen nicht entgehen.
Fällt denn der Unterschied zwischen einem reinen Zweckbau und einem architektonisch gestalteten Gebäude so groß aus?
Finanziell gesehen? Ein guter Entwurf ist keine Geldfrage. Funktionieren muss ein Gebäude immer, wenn es das nicht tut, ist es nicht gut, dann kann es aussehen wie es will. Die Verbindung zwischen einem funktionierenden Bau und seiner anspruchsvollen Hülle – das ist die Kunst des Architekten. Wir sagen ja beim Auto auch nicht: Hauptsache, es hat ’n Motor, vier Räder und fährt. Wie es aussieht, ist mir völlig wurscht.
Wie viel Funktion muss man opfern für architektonische Qualität?
Keine. Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Form follows function – das gilt im Grundsatz immer noch. Wenn es beim besseren Entwurf noch funktionelle Einschränkungen gegeben hat, muss man sich die Frage stellen, ob die nicht nachbesserbar gewesen wären.
"Fachleute sind bereit, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihr Können Verfügung zu stellen"
Dass es der Stadt nicht egal ist, wie das neue Bad aussieht, zeigt sich schon darin, dass es einen Architektenwettbewerb gab. Da denkt man doch, es wird alles gut, oder?
Es ist zumindest die Voraussetzung dafür, dass es gut werden kann. Soweit ich das mitverfolgen konnte, ist allerdings etwas ganz Furchtbares passiert, was eigentlich nie passieren dürfte...
...nämlich...?
...dass es ein Ergebnis gibt, wo diejenigen die man als Fachleute eingeladen hat, auf der einen Seite standen und die städtischen Vertreter auf der anderen. Unversöhnlich. Eine absurde Situation.
Und völlig untypisch?
Auf jeden Fall. Wenn so was passiert, kann irgendetwas überhaupt nicht gestimmt haben. Denn der Auslober, die Stadt, hat doch das Preisgericht zusammengestellt und die Fachleute selbst eingeladen, das macht ja nicht die Architektenkammer. Diese Fachleute sind bereit, ihr Wissen, ihre Erfahrung, ihr Können der Stadt beratend zur Verfügung zu stellen. Und wenn ich dann gegen all diese Fachleute entscheide, dann kann das nicht Sinn der Sache sein. Oder man ist von vornherein der Meinung, wenn die Fachwelt nicht meiner Meinung ist, dann interessiert mich die Meinung der Fachwelt nicht.
Der Vertreter der Linken im Sport-Ausschuss – und nicht nur er – kam zu dem Schluss: Die Architekten sind nur beleidigt und einfach schlechte Verlierer.
Das habe ich gelesen und überhaupt nicht verstanden. Was heißt denn „schlechte Verlierer“? Wieso gibt es auf der anderen Seite Gewinner? Hier geht es doch darum, mit dem Preisgericht die beste Lösung für dieses Gebäude zu finden.
Würden Sie sagen: Das ist mal wieder typisch für Politik, dass sie eine solche Entscheidung zur Machtfrage stilisiert?
Scheinbar ist das so. Das kann man nur so verstehen.
Auch bei den anderen Parteien gab es stillschweigend Zustimmung, als es mit vorwurfsvollem Unterton in Richtung der Architekten hieß: „Wir wollten hier kein Museum, wir wollten kein Denkmal, wir wollten nur eine Schwimmhalle.“
Aber die Bürger dieser Stadt haben ein Anrecht darauf, dass bei dem, was die Stadt baut, nicht nur eine Funktion sichergestellt wird, sondern dass diese Gebäude auch ein Gesicht von dauerhafter Wertigkeit haben. Beim alten Hauptbad ging es ja offensichtlich auch nicht nur darum, ein Becken zu haben, wo man rauf und runter schwimmen kann. Da gab es den Anspruch, ein Stück Baukultur zu schaffen – wo man ernsthaft darüber nachdenken muss, ob es nicht tatsächlich besser gewesen wäre, das zu behalten und zu sanieren. Aber darüber will ich mir kein Urteil erlauben, das wird man ja wohl geprüft haben...
...mit der Schlussfolgerung, dass die Sanierung zu teuer käme.
Immerhin, beim Bau hat man offensichtlich in der Stadt eine andere Haltung eingenommen, als jene, die sich beim neuen Bad offenbart hat.
"Ich kann solchen Frust und die daraus resultierende Skepsis sehr gut verstehen"
Gleichwohl gibt’s ja auch Jury-Urteile, die in die Irre weisen. Mein PC trägt den „Red Dot“, den roten Punkt für wegweisendes Produktdesign, aber wenn die CD-Schublade geöffnet ist, kommt man kaum an den Knopf, um das Fach wieder zu schließen. Und um bei der Architektur zu bleiben: Der mehrfach ausgezeichnete Sanaa-Würfel für die Zollverein-School ist das beste Beispiel für hohes Designer-Lob bei bescheidenem Nutzwert. Vielleicht hatte mancher dies ja im Hinterkopf.
Ich kann solchen Frust und die daraus resultierende Skepsis sehr gut verstehen, vor allem, weil ja Gestaltqualität nicht definierbar ist. Das heißt: Im Zweifel muss man ein Stück Vertrauen in jene Fachleute haben, die man da eingeladen hat.
Aber Sie wissen ja: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist...
Ja, klar. Ich bin in vielen Preisgerichten gewesen, wo sich durchaus die Situation ergab, dass der Bauherr arge Zweifel hatte. Natürlich ist das auch für die Politik immer eine Gratwanderung, und Vertrauen muss man sich fraglos erarbeiten. Es geht ja nicht darum, dass wir Architekten die Fachleute sind und die anderen die „Dummen“, um das mal ganz platt zu sagen, weshalb die gefälligst das machen sollen, was wir sagen. Aber dieses Miteinander setzt auch voraus, dass die Politik bereit ist, bestimmte Dinge zu delegieren, sich selbst zurückzunehmen.
Was nicht heißt, dass sie achselzuckend alles weiterreichen sollte. Motto: Macht ihr mal.
Nein, die Verantwortlichen müssen schon eine Vision im Kopf haben: Wie soll diese Stadt sich entwickeln? Und in diesen Rahmen gliedern sich dann verschiedene Projekte ein. Deren Strahlkraft, ihre baukulturelle Qualität, kann helfen, ein Image zu bilden, und dieses Image hilft wiederum, einen Standort interessant zu machen. Essen hat dafür ja gute Beispiele, aus denen ich das Thyssen-Krupp-Quartier gerne als echten Meilenstein herausgreife. Oder die grüne Mitte des Univiertels, diese kleine Insel zwischen Innenstadt und Uni-Campus. Eigentlich war das damals eine mutige Entscheidung zu sagen, wir bauen zuerst den Park, zeigen Qualität an diesem Ort, machen das hochwertig. Und da tut’s dann schon weh, dass ein solches Verfahren wie für das Hallenbad am Thurmfeld das Gegenteil jener Ansprüche dokumentiert, die woanders umgesetzt worden sind.
Ganz zu schweigen davon, dass die Architekten-Szene vermutlich schon alarmiert ist.
Aber sicher, so etwas geht nicht spurlos vorbei. Es wird natürlich kritisch beobachtet, was passiert jetzt hier in Essen. Macht das überhaupt Sinn, dass ich in ein Preisgericht gehe, oder bin ich ein Feigenblättchen für andere, um umzusetzen, was diese sowieso umsetzen wollen?
Die nächste Gelegenheit das Gegenteil unter Beweis zu stellen, ist ja nicht weit: Der Architektenwettbewerb zum Messe-Teilneubau geht auf die Zielgerade.
Richtig, da bin ich übrigens auch selbst dabei. Und um das gleich zu sagen: Bisher habe ich keinen schlechten Eindruck, dabei sollte es bleiben. Wir haben alle eine Menge Verantwortung.
Um an der Messe vorzuexerzieren: So ein Streit wie beim Hallenbad am Thurmfeld ist nicht die Regel?
Ja. Es würde mich jedenfalls sehr erschrecken, wenn’s so wäre. Das Ganze hatte eh ein Geschmäckle.
"Stadt, wenn du etwas baust, mach einen Wettbewerb"
Weil derjenige Architekt, der die Sport- und Bäderbetriebe zuvor beraten hatte auch am Wettbewerb teilnahm? Das war juristisch einwandfrei, beteuert die Stadt.
Richtig: Es ist juristisch nicht angreifbar, aber schlicht und einfach unkollegial. Denn das Vergabeverfahren nach VOF ist das eine, der darin eingebettete Architektenwettbewerb etwas anderes. Wer zuvor beraten hat, verfügt über einen Zeitvorsprung gegenüber den anderen Beteiligten, und er hat sogar noch die Möglichkeit zu steuern, wie die Wertigkeiten gesetzt werden. Das ist schlicht und einfach unkollegial und nicht in Ordnung. Gleichwohl noch mal: Juristisch nicht anfechtbar. Nur: Man tut so was einfach nicht.
Sie glauben also an den fairen, gerechten, unbeeinflussten Wettbewerb...
Das ist ein Plädoyer, das ich immer halten werde. Stadt, wenn du etwas baust, das eine bestimmte Wertigkeit haben soll, mach einen Wettbewerb. Such dir die Fachleute, denen du vertraust, die bewiesen haben, dass sie in solchen Bereichen ein vernünftiges Urteil fällen können. Dann bring ein Stück Vertrauen mit, das muss man manchmal haben, und versuche das zu bauen, was da rauskommt. Mensch, die Städte haben ja nicht mehr so viele Möglichkeiten, seien wir doch ehrlich, sie sind ja eigentlich gebaut. Und dort, wo ich als öffentliche Hand noch mal die Möglichkeit habe einzugreifen, muss ich natürlich auch das Geld im Auge haben, gar keine Frage.
Und jetzt kommt das Aber...
...aber alle, die politische Verantwortung in so einer Stadt tragen, müssen großen Wert darauf legen, dass mit dem Bisschen, was wir noch bauen können, auch wirklich ein Stück Qualität in die Welt kommt, das über den Tag hinaus Bedeutung hat. Man kann durch das Selberbauen guter Beispiele vor allem auch die privaten Investoren mitnehmen. Ansonsten sagt wie beim Thurmfeld mit dem gleichen Recht jeder Privatmann: Ist doch egal wie es aussieht, Hauptsache es funktioniert. Das ist das Signal, das gesendet wird – ein verteufeltes Argument.
Zur Person: Hartmut Miksch
Geboren in Thüringen und aufgewachsen in Duisburg studierte Hartmut Miksch in den 1970er Jahren Architektur in Düsseldorf und betreibt dort seit 1980 gemeinsam mit Partnern das Büro Miksch. Rücker + Partner mit 20 Mitarbeitern. Zu den Referenzen des Büros zählt unter anderem die Jahrhunderthalle in Bochum und der Kaisersaal in Erfurt. In Essen sanierte Miksch den Lichtburg-Bau und entwarf den ausgezeichneten Neu(an)bau für die Volkshochschule am Burgplatz. Seit 2001 ist der heute 62-jährige Miksch Präsident der Architektenkammer NRW.