Essen. Wie zufrieden sind Essener mit ihrem persönlichen Wohnumfeld, der ärztlichen Nahversorgung und dem Freizeitangebot? Die NRZ hat nachgefragt. Hier finden Sie die durchaus zufriedenen Antworten der umfangreichen Befragung “Bürgerbarometer 2012“.
Manch Essener Stadtteil trägt das „Dorf“ sogar noch im Namen, Bewohner anderer Viertel fahren Auto-Aufkleber spazieren, die den eigenen Beritt als „Königreich“ preisen. Eine weit verbreitete Verbundenheit mit dem heimatlichen Kiez lässt sich also schon im Alltag beobachten, und die Ergebnisse des NRZ-Bürgerbarometers bestätigen, dass die Essener sich in ihrer unmittelbaren Umgebung überaus wohlfühlen.
77 Prozent der Befragten gaben an, sie seien mit ihrem persönlichen Wohnumfeld zufrieden, die meisten davon sind sogar „sehr zufrieden“. Nur acht Prozent äußern Unmut. Im Vergleich zum jüngsten Bürgerbarometer vor zweieinhalb Jahren ist die Zufriedenheit nur leicht zurückgegangen. Auf einer Skala von 1 (sehr zufrieden) bis 5 (sehr unzufrieden) lag der durchschnittliche Zustimmungswert damals bei 1,91, in der neueren Umfrage ergibt sich ein Wert von 1,93.
Nanu, könnte man angesichts dieses deutlichen Zuspruchs sagen. Gäbe es als Großstadtbewohner nicht einiges zu mäkeln über Verkehrslärm vor der Haustür, über Missstände im Stadtteil, über Anonymität und soziale Kälte? „Das überrascht mich, in der Regel ist die Zufriedenheit in der Großstadt nicht so stark ausgeprägt“, sagt auch Professor Gerhard Henkel. Ausgerechnet an der Universität Duisburg-Essen hat der Humangeograf jahrzehntelang geforscht und gelehrt, dabei gilt er eigentlich als „Anwalt des Dorfes“.
Richtung Norden sinkt der Zuspruch
Mit seinem „ländlichen Lebensstil, seinen engen sozialen Kontakten, seiner Ruhe“ erfreue sich das Dorf nach wie großer Beliebtheit. Kann es vielleicht sein, dass sich auch die Städter genau das heute zu schaffen suchen: ein bisschen Kleinräumigkeit in der großen Unordnung? Das eigene Quartier als Quell eines Heimatgefühls? Und dass sie all das im eigenen Großstadtkiez zunehmend finden – wenngleich, wie die etwas geringere Begeisterung in den nördlichen Stadtteilen zeigt, die Zufriedenheit nicht überall gleich stark ausgeprägt ist?
Gut möglich, sagt Henkel. „Jeder Mensch sucht sich Bereiche, die überschaubar sind und in denen ein bisschen Natur drinsteckt – das kann aber natürlich auch der eigene Balkon oder der Schrebergarten sein.“ Henkel selbst, der während seiner Dienstjahre in Essen lebte, hat es nach der Emeritierung freilich zurück in sein Heimatdorf gezogen: Fürstenberg, Westfalen, knapp 3000 Einwohner. Als Autor geht er dort weiter seiner Faszination fürs Dorfleben nach. Kann sich so jemand in Essen überhaupt wohlfühlen? „Unsere Gesellschaft ist urban geprägt und natürlich hat die Großstadt ihre Reize. Ich schwärme, wohin ich komme, heute noch vom Aalto-Theater. Das kann das Dorf nicht bieten.“
Der Essener, so könnte man folgern, strebt nach einer Kombination aus beidem: das Dorfleben vor der Haustür und das großstädtische Kulturangebot nur einen Katzensprung entfernt. Diese günstige Verbindung, erzählt Henkel, schwebte schon Kurt Tucholsky vor, der sein Wohn-Ideal einmal so formulierte: „Vorn die Friedrichstraße, hinten die Ostsee.“
Mit der ärztlichen Nahversorgung zufrieden: Note 1,88
Über ein Dutzend hochspezialisierte Krankenhäuser, 1300 niedergelassene Ärzte und Zahnärzte, rund 150 Apotheken – was die medizinische Versorgung angeht, hat Essen recht gute Vital-Werte. In keiner anderen Stadt des Reviers werden mehr Patienten behandelt.
Nirgendwo im Land, das bestätigt auf Nachfrage die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO), ist die Versorgung mit Hausärzten so hoch wie im Ruhrgebiet, wobei Essen im Vergleich zu Duisburg oder Dortmund die wenigsten Mangelsymptome aufweist. Allenfalls das ein oder andere kleine Zipperlein stört.
Doch wenn’s mal hier, mal dort nur zwickt oder zwackt statt richtig weh zu tun, ist der potenzielle Patient ja schon halbwegs tiefenentspannt, zeigt das NRZ-Bürgerbarometer. Auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie in Essen mit der ärztlichen Nahversorgung?“ antworteten 36 Prozent mit „sehr“. Immerhin 43 Prozent zeigten sich damit „zufrieden“.
Essen aus der Luft
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Unterm Stich gab’s dann die Note 1,88. Das ist das beste Ergebnis aller vergleichbaren Befragungen in anderen Städten. Damit fühlten sich die Essener sogar noch etwas besser versorgt als beim Bürgerbarometer 2010, als sie eine – wenn auch in Nuancen – schlechtere 1,92 vergaben.
Aktuell stellten die 20- bis 29-Jährigen dem selbsternannten Gesundheitsstandort das beste Zeugnis aus, gefolgt von den 30- bis 39-Jährigen sowie den 40- bis 49-Jährigen. Am wenigsten zufrieden mit dem ärztlichen Angebot vor ihrer Haustür sind offenbar die 50- bis 59-Jährigen.
Im Süden etwas besser
Doch es gibt nicht nur Alters-, sondern auch geografische Unterschiede: Insgesamt wird die ärztliche Nahversorgung im Süden der Stadt als etwas besser empfunden. Was nachvollziehbar erscheint bei einem Blick auf eine Auflistung des Amts für Statistik, Stadtforschung und Wahlen quer über alle Fachrichtungen: 193 niedergelassene Mediziner waren es im vergangenen Jahr im Bezirk I (Stadtmitte, Frillendorf, Huttrop), 185 im Bezirk II (Rüttenscheid, Bergerhausen, Rellinghausen, Stadtwald), 109 im Bezirk III (West), 102 im Bezirk IV (Borbeck), 76 im Bezirk V (Altenessen, Karnap, Vogelheim), 44 im Bezirk VI (Katernberg, Schonnebeck, Stoppenberg), 99 im Bezirk VII (Steele, Kray), 67 im Bezirk VIII (Ruhrhalbinsel) und 105 im Bezirk IX (Werden, Kettwig, Bredeney).
Nach Einschätzung von Bernhard Brautmeier vom Vorstand der KVNO ist das Angebot bei der ärztlichen Nahversorgung von Patienten besser als der Bedarf es verlangt – und das in fast allen Fachrichtungen. Ein Kinderarzt mehr mag die jahrelange Mangelsituation im Norden der Stadt etwas entspannen.
Doch bei der psychotherapeutischen Versorgung, sagt Brautmeier, habe Essen Nachholbedarf. Zwar gebe es auf dem Papier eine nominelle Überversorgung. Die Realität für die Patienten sei aber eine andere. Wie die zuständige Kammer beklagt, müssen Patienten im Schnitt über vier Monate auf einen Termin warten. Und das ist wohl ein „Ungenügend“.
Keine schlechten Noten fürs Freizeitangebot, aber...
Die Essener wissen das größte Kinozentrum der Republik und das „schönste Museum der Welt“ in ihren Stadtmauern, einen echten „Südseestrand“ und ein nagelneues Stadion, 700.000 Quadratmeter „grüne Lunge“ und das ganze Spektrum von Theater bis Philharmonie. Und selbst die alte Diskotheken-Weisheit, dass das Beste an Essen die A52-Auffahrt nach Düsseldorf sei, lässt sich so nicht mehr halten.
Dennoch, zu mehr als einer Zwominus reicht’s für das Freizeitangebot im Urteil des NRZ-Bürgerbarometers dann doch nicht. Wie zufrieden man mit den vielfältigen Möglichkeiten der Zerstreuung zwischen Karnap und Kettwig ist? Jeder vierte Befragte ringt sich auf der Skala von 1 bis 5 nur ein achselzuckendes „So lala“ ab.
Verglichen mit dem Wert von 2010 hat sich dabei so gut wie nichts verändert; dass der Mittelwert minimal von 2,43 auf 2,46 rutschte, darf man, so sagen die Fachleute am Uni-Lehrstuhl für Marketing & Handel, getrost als statistische Unschärfe interpretieren. Schlechter ist das Freizeitangebot deshalb nicht geworden.
Strand in der Stadt
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Aber eben auch nicht besser, was offenbar keine Altersgruppe so bedauert wie die der 40- bis 49-Jährigen. Gerade mal vier von zehn Befragten in dieser Altersklasse vergaben die Note 1 oder 2. Bei den Jugendlichen zwischen 14 und 19 waren es immerhin knapp die Hälfte der Befragten, bei den 20- bis 29-Jährigen noch deutlich mehr, und die Generation 70 Plus fühlt sich am besten bedient: 60 Prozent von ihnen sind sehr zufrieden mit dem Freizeitangebot.
Hüben Cinemaxx und drüben Lichtburg – sind das die Gegensätze? Seaside Beach und Grugapark, Club Beate und Aalto? Auffallend vor allem, dass im Süden spürbar mehr Zufriedenheit mit dem Freizeitangebot herrscht als nördlich der A40, dabei sind gerade die Unzufriedenen besonders mobil: Die Bürger mittleren Alters sind vielfach motorisiert, die Jüngeren greifen auf Bus und Bahn zurück – und im hoch verdichteten Ruhrgebiet sind Stadtgrenzen vergnügungstechnisch eh kein Hindernis: Zwischen Oberhausens Centro-Meile und Bochums Bermuda-Dreieck, dem Spaßbad Atlantis in Dorsten und dem Wuppertaler Zoo ist das Spektrum breit.
So lässt sich am eigenen Leib erfahren, dass die eigene Freizeit immer auch die Freizeit der anderen ist. In Duisburg und Düsseldorf, so viel sei Kritikern gesagt, waren die Werte auch nicht besser als in Essen.
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