Essen.Die NRZ startet die Berichterstattung zum NRZ-Bürgerbarometer, einer repräsentativen Umfrage zu unterschiedlichsten Themen rund um die Stadt Essen. Im ersten Teil beleuchten wir das Ergebnis zur Frage: „Leben Sie gerne in Essen?“. Noch vor wenigen Wochen galten die Essener als unzufriedenste Bürger. Die NRZ-Umfrage belegt: Stimmt gar, die Essener mögen ihre Stadt!

Das ist doch mal ein Wort: 86 Prozent der Teilnehmer des NRZ-Bürgerbarometers leben gerne in ihrer Stadt. Der Großteil davon antwortete sogar mit „sehr gerne“ auf die Einstiegsfrage der neuen repräsentativen Erhebung, und wir stellen uns vor, dass diese Antwort schnell kam, gewissermaßen aus dem Bauch heraus. Lediglich vier Prozent gaben an, ungern in der Stadt zu leben. Und – im vom sozialen Gefälle geprägten Essen nicht unerheblich: Die Zufriedenheit macht an der imaginären Nord-Süd-Grenze nicht Halt, in der detaillierten Betrachtung unterscheiden sich die Werte nur minimal.

Bei aller Liebe mag das sonnige Ergebnis durchaus verwundern, schließlich erwarten wir von unserer Stadt heute einiges. Nicht nur Arbeit soll sie uns bieten und ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine lückenlose Infrastruktur, ein passables Kultur- und Freizeitangebot und möglichst viel Grün, kurzum: das, was man neudeutsch „Lebensqualität“ nennt. Unsere Städte sollen uns Identifikation bieten, ein Heimatgefühl geben, ja: uns glücklich machen.

Womit man schon an dem Punkt wäre, an dem andere Wasser in den Wein gießen: Im „Glücksatlas“ schnitt Essen im Vergleich mit zwölf anderen deutschen Großstädten jüngst denkbar schlecht ab – als Schlusslicht nämlich. Die Macher der von der Deutschen Post in Auftrag gegebenen Studie konzentrieren sich freilich nicht auf des Bürgers Sicht, sondern rechnen in ihre Glückswerte neben Umfrageergebnissen allerlei weitere Aspekte ein, von der Haushaltslage bis zu den Luft- und Wasserwerten.

Was aber lässt des Bürgers Herz nun tatsächlich lachen? Sind es die „harten Faktoren“ wie Wirtschaftskraft und Arbeit? Dagegen spricht, dass sich die Zufriedenheit der Essener mit ihrer Stadt seit dem jüngsten NRZ-Bürgerbarometer vor zweieinhalb Jahren leicht erhöht hat. Damals gaben 82 Prozent der Befragten an, gerne in Essen zu leben. Die Lage auf dem hiesigen Arbeitsmarkt hat sich im gleichen Zeitraum nicht merklich gebessert. Sind also doch eher die „weichen“ Rahmenbedingungen entscheidend dafür, ob die Bürger ihre Stadt als lebens- und liebenswert hochhalten, Faktoren wie Gemeinschaftsgefühl und Familienfreundlichkeit? Und spielt – wenn an dem einen oder anderen Punkt doch etwas im Argen liegt – vielleicht auch ein bisschen Trotz mit in das Votum hinein, gemäß Frank Goosens augenzwinkerndem „Woanders ist auch scheiße“?

Für die Gestalter in dieser Stadt ist die im Bürgerbarometer zum Ausdruck gebrachte Zuneigung der Essener zu ihrem Wohnort jedenfalls kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Aus den guten Werten zu folgern, zwischen Karnap und Kupferdreh sei alles in Butter, wäre der falsche Schluss, das offenbart schon ein Blick auf die Ergebnisse im Einzelnen. Zwischen den Bürgern im Norden und im Süden mag es keine relevante Zufriedenheitslücke geben, ebenso wenig übrigens wie zwischen Männern und Frauen. Der durchschnittliche Zuspruchswert ersterer liegt auf der Skala von 1 („lebe sehr gerne in Essen“) bis 5 („lebe sehr ungerne in Essen“) bei 1,69, während die Damen mit 1,67 sogar noch ein Stück weit lieber in der Ruhrgebietsmetropole wohnen.

Signifikant sind dagegen die Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Die Jüngeren können sich deutlich mehr für ihre Stadt erwärmen als die Älteren. Am höchsten ist der Zufriedenheitswert mit 1,49 in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen. Vergleichsweise schlecht kommt Essen bei den 50- bis 59 -Jährigen weg, hier ergab die Umfrage einen Wert von 1,89. Und auch die 60- bis 69-Jährigen machen bei der Begeisterung für Essen eher Abstriche als der Nachwuchs. Bei den über 70-Jährigen verbessert sich der Wert hingegen wieder.

Viele Kopfnüsse also für diejenigen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sie die Zufriedenheit der Essener mit ihrer Stadt wahren und mehren können. Glück ist subjektiv, keine Frage. Unter welchen Voraussetzungen es am besten gedeiht, an welchen Schrauben man drehen muss, um die Chance auf möglichst breite Zufriedenheit zu erhöhen, darauf können die weiteren Ergebnisse des Bürgerbarometers, die wir in den kommenden Wochen in der NRZ vorstellen, Hinweise geben. „Leben Sie gerne in Essen?“ – das ist, wie gesagt, nur der Einstieg in eine ganze Reihe von Fragen, und so viel sei verraten: So ausgeprägt der Lokalpatriotismus der Essener auch sein mag, so entschieden knüpfen sie an ihr „Ja“ auf diese Einstiegsfrage auch ein lautes „Aber“.