Essen. . Die Essenerin Karin Führmann leitet seit einem Jahr zwei benachbarte Grundschulen. Das ist keine Ausnahme in NRW, wo bald 400 Stellen unbesetzt sind. Die Schulleiter-Stellen gelten unter Lehrern als schlecht bezahlt. Der Arbeitsaufwand jedoch ist groß.

Dass sie ihren Job liebt, steht außer Frage. Um das festzustellen, genügt es, ihr nur etwas zuzuhören. Dass sie ihn auch gut macht, bekam Karin Führmann, die Rektorin der Essener Astrid-Lindgren-Grundschule, vor einem Jahr recht unprätentiös bedeutet. Man übergab ihr quasi von heute auf morgen zusätzlich die Leitung einer weiteren Schule. Kommissarisch. Weil sich dort wie an fast 400 Grundschulen im Land niemand fand, der diese Aufgabe übernehmen wollte. Rektoren – verzweifelt gesucht.

Nach Steele-Horst, wie der östliche Essener Stadtteil heißt, kommt man nicht zufällig. Da fährt man hin. Auch ins sogenannte Hörsterfeld, der Hochhaus-Siedlung, die in den 70er Jahren von der gewerkschaftseigenen Neuen Heimat errichtet wurde. In ihren Anfangsjahren lebten hier so viele Kinder, dass die frisch gegründete Astrid-Lindgren-Schule sechszügig lief, mit 700 Schülern. Heute besuchen sie gerade einmal 180 Kinder, darunter viele, die zu Hause mit ihren Eltern russisch oder arabisch sprechen.

Job mit langer Aufgabenliste

23 Jahre jung war Karin Führmann, als sie in den 70ern an die Astrid-Lindgren-Schule kam. Eine frisch ausgebildete Lehrerin, die endlich in ihrem Traumberuf arbeiten darf. Elf Jahre später übernimmt sie ihre erste Schulleitung. „Nur Lehrerin zu sein, hätte mir nicht genügt. Ich organisiere gern und kann das, glaube ich, auch gut. Und ich stoße gern Neues an“, sagt die heute 61-Jährige. Doch Karin Führmann weiß auch, warum der Job bei anderen Lehrern nicht so beliebt ist. 90 Prozent der Grundschul-Lehrer sind Frauen. Wenn diese nach ein paar Jahren Erfahrung reif für eine Schulleitung seien, befänden sie sich mit Mitte 30 meist in der Familienphase. „Das mögen sich viele nicht antun. Gerade weil Grundschulen heute ja auch ganztägig betrieben werden“, sagt die Rektorin, die selbst zwei inzwischen erwachsene Söhne hat.

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Sie hat ein Din-A-4-Blatt vor sich liegen, auf dem sie alles festgehalten hat, was zu den Aufgaben einer Schulleiterin gehört. Eine Liste, die erst am unteren Rand des Zettels endet. Sie verwalte Schüler, Lehrer, Erzieher und Honorarkräfte, listet Führmann auf. Sie erstelle Stundenpläne und organisiere Bücherbestellungen, führe Lehrerkonferenzen und Elternabende durch. Fünf Jahre lang habe sie aufwändige Umbauten an ihrer Schule betreut. Und überhaupt sei sie Ansprechpartnerin für alle. Personalmanagement nennt man so etwas.

Hausmeister, Lehrer, Eltern, Schüler - alle wollen etwas von der Rektorin 

Ungezählte Male während dieses Gespräches mit Karin Führmann klopft es an der Tür ihres Zimmers. Mal wird ein Mädchen vermisst, dessen Mutter nun fürchtet, der getrennt lebende Vater könne es abgefangen haben. Mal fragt eine Honorarkraft aus dem Ganztagsbetrieb nach ihrem Vertrag. Schließlich gibt es erleichternde Nachricht von dem vermeintlich verschwundenen Mädchen. „Sobald ich hier in der Verwaltung sitze, fallen sie alle über mich her. Hausmeisterin, Lehrer, Eltern, Kinder, die Sekretärin. Manchmal frage ich mich später: ‘Was hast Du eigentlich der Kollegin auf ihre Frage geantwortet?’“, sagt Führmann und das soll keinesfalls eine Beschwerde sein, sondern vielmehr eine nüchterne Feststellung.

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Angestoßen hat die Rektorin in bald 40 Berufsjahren einiges. Bereits seit Mitte der 90er nimmt die Schule auch behinderte Kinder auf, vor einigen Jahren begann sie einen eigenen Montessori-Zweig auszubauen. Heißt, dass Kinder dort altersgemischt von der ersten bis zur vierten Klasse unterrichtet werden. Die Kleinen lernen so von den Großen, die wiederum, weil sie mit ihnen den Stoff wiederholen.

Die Kinder haben sich verändert

Und nun „fliegt“ sie seit einem Jahr regelmäßig in die Steeler Nachbarschule ein, um dort Rektor und Konrektorin zu ersetzen, die beide vor einem Jahr in den Ruhestand gingen. „Ich habe großes Glück, dass die Kollegen dort vieles in Eigenregie erledigen“, sagt Karin Führmann. Ein Ende ihrer Doppelrolle ist nicht in Sicht, obwohl die Stellen regelmäßig ausgeschrieben werden.

40 Jahre in ihrem Traumjob. Und das alles, weil ihr Fräulein Grimm, ihre eigene Grundschullehrerin, so imponiert hatte. Die Gesellschaft hat sich seitdem verändert, die Kinder auch. Ohne den Touch von „früher war alles besser“, spricht die Rektorin von „individuelleren Persönlichkeiten“, aber auch von vernachlässigten Kindern oder von jenen, deren Eltern sie überfordern, mit zu viel Tennis, Ballett, Musikunterricht.

Sie arbeitet immer noch gern mit Kindern, unterrichtet wie selbstverständlich als Klassenlehrerin („der Kontakt ist einfach enger!“). Aber sie gibt auch zu, dass der Arbeitsaufwand ohne Ausgleich kaum zu schaffen ist. Führmann: „Viel Sport. Schwimmen, Walken, Radfahren. Viel frische Luft!“