Aktivisten setzen sich auch Jahre nach Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze weiterhin jeden Montag für soziale Gerechtigkeit ein. Nur noch wenige Menschen hören ihnen zu.

Schon seit acht Jahren gibt es in Witten jede Woche eine Montagsdemonstration. Leiser sind die Aktivisten nicht geworden. Ob die dort zur Sprache kommenden Themen die Bürger noch interessieren, scheint jedoch fraglich.

Zu überhören sind die circa 20 Demonstranten an diesem Nachmittag nicht. Lautstark sind die Ansagen, die durch die Verstärker-Box auf den Berliner Platz hallen. Norbert Ruppich greift in die Saiten seiner Gitarre und klagt mit seinem Lied gerade Banker an. „Eure Krise zahlen wir nicht“, heißt es in seinem Protest-Song. Seine Stimme wird mit jeder Strophe energischer. „Bürger, Bürger schaut’s euch an, bald seid ihr dran“, prophezeit er und: „Wir sind laut, weil man unsere Zukunft raubt.“

Verschwunden im Minutentakt

Seit das Franchise-Unternehmen „Extrablatt“ im großen Stil baut, sind die Montagsdemonstranten in die Häuserlücke zur Nordstraße gezogen. Zwischen zwei leer stehenden Ladenlokalen haben die Aktivisten zwei Stehtische aufgebaut und die dortigen Sitzbänke in Beschlag genommen. Ein breites Transparent mit stilisiertem Hartz-IV-Verbotsschildern und dem Montags-Demo-Schriftzug sind darauf gemalt. Während der Kundgebung verschwinden die Demonstranten immer wieder für einige Sekunden. Denn die Bogestra-Straßenbahn rollt zwischen sie und die Zuhörer, die von den Bänken rund um die umstrittenen Wasserspiele die Darbietungen betrachten.

Denn Demonstration will hier als Begriff nicht so recht ins Bild passen. Das ganze mutet in Grundzügen eher an wie die „Speaker’s Corner“ im Londoner Hyde Park. In Witten wie auch in England herrscht das Prinzip des offenen Mikrofons. Während im Hyde Park die Themenbreite sicherlich breiter gestreut ist, drehen sich bei der Montagsdemonstration die Wortbeiträge um Sozialpolitik, Ungerechtigkeit und Abrüstung. „Hier kommt jeder zu Wort, bis auf Faschisten“, meint einer. Und eine weiterer Aktivist ergänzt: „Und Sexisten will ich hier nicht hören.“

Viele Demonstranten sind schon seit mehreren Jahren jeden Montag in Wittens Stadtmitte. Das betont jeder, der ans Mikro kommt. Und jeder begründet auch, warum er die wöchentliche Veranstaltung nach wie vor für wichtig hält. „Kampf kann nur auf der Straße stattfinden“, meint ein blonder Mann. Andere berichten, wie sehr ihnen die Gemeinschaft in einer schwierigen Lebensphase weitergeholfen hat. Es sind einige Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen unter den Aktivisten, die aufgrund ihrer Behinderung Schwierigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt hatten oder immer noch haben.

Tango in der Stadtmitte

Doch die Kernforderung überstrahlt nach acht Jahren alles. „Hartz IV muss weg“, sagt Manfred Schulz von der Linkspartei. Es gibt zustimmenden Applaus – ausschließlich von den Aktivisten. Die Zuhörerschar auf dem Platz ist dünner geworden, je länger die Veranstaltung dauert. Dann legen Achim und Agathe Czylwick eine flotte Sohle aufs Pflaster. Das Paar tanzt einen Tango Argentino. In Südamerika ein Ausdruck des Protests. Nur noch einzelne Passanten gucken hin. Die Bahn kommt schon wieder, ein Protest-Song erklingt. Kurz danach ist die Demo ist vorbei. Die Aktivisten stoßen mit Sekt an und bleiben unter sich.