Die "Montagsdemonstration" in der City wird vier Jahre alt. Etwa 30 Teilnehmer kommen noch regelmäßig zur Porschekanzel. Dabei müssen in Essen fast 80 000 Menschen von Hartz IV leben. Ein Ortstermin

Die 198. Montagsdemo an der Porschekanzel: Noch 30 Teilnehmer trafen sich.Fotos: WAZ, Rennemeyer, Thiemer (Archiv)
Die 198. Montagsdemo an der Porschekanzel: Noch 30 Teilnehmer trafen sich.Fotos: WAZ, Rennemeyer, Thiemer (Archiv) © WAZ

Die Porschekanzel in Essen ist nicht der Maiplatz von Buenos Aires, der Hauptstadt von Argentinien. Doch diejenigen, die sich unter dem Krupp-Denkmal an der Marktkirche versammeln an diesem sommerlichen Montagabend, finden den Vergleich berechtigt.

Auf dem Maiplatz in Buenos Aires kommen seit 31 Jahren die Mütter der Kinder zusammen, die in den 70er-Jahren auf geheimnisvolle Weise verschwanden. Damals war Argentinien eine Militärdiktatur. Die Frauen treffen sich an jedem Donnerstag, immer um 16 Uhr. Bis heute.

"Diese Frauen sind uns ein Vorbild", ruft eine Dame ins Mikro. Es ist die 198. Montagsdemonstration, die Sonne scheint auf die Porschekanzel, 25 Grad Celsius. Viele Passanten tragen kurze Hosen und lecken an einem Eis. Sie bummeln an der Demo vorbei. Einige bleiben stehen, hören kurz hin. Und gehen dann weiter. Von der Limbecker Straße kommen viele junge Leute, mit Tüten aus Boutiquen.

Die Demonstranten stehen im Kreis. Das Mikrofon macht die Runde. Jetzt ist "der Hartwig" dran, pensionierter Lehrer, er sagt: "Immer mehr Kinder kommen ohne Frühstück zur Schule." Dann spricht eine Frau, kritisiert die städtische Kampagne "In Essen sind Kinder König", und dass es zu wenig Geld für Schul-Mittagessen gibt. Der Nächste ist dran: "Der Clement ist sowieso der Hauptverursacher für das ganze Elend, und in der Atom-Lobby ist der auch!" Und irgendwann ist Margret Rahe an der Reihe, sie ist 69 Jahre alt und wird vorgestellt als "unsere Omma Margret aus Katern-berg". Frau Rahe liest von einem Zettel ab, es geht um Armut und Verelendung im Essener Norden, und von Politikern, die sich die Taschen vollmachen, und von Bäderschließungen: "Alles immer irrer! Wir müssen unseren Arsch retten!"

Frau Rahe kommt seit dem ersten Tag. Es war Montag, der 9. August 2004, heute vor vier Jahren. Im Osten Deutschlands war der Protest gegen Kanzler Schröders Agenda 2010 zu Massenkundgebungen angewachsen, 15 000 Demonstranten jeweils in Leipzig und Magdeburg, man hatte den historisch bedeutsamen Titel "Montagsdemo" gewählt. Zu hunderten versammelten sie sich schließlich auch in Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Essen: Am 17. August waren es schon 200 an der Porschekanzel, dann 300, dann 400 - und Ende Oktober flaute die große Bewegung wieder ab. Immerhin: Zu Demo Nummer 100 am 9. Januar 2006 kamen noch 100 Leute.

Während dieser Zeit ist die Zahl der Menschen, die in Essen von Hartz IV leben müssen, von 70 884 (im Jahr 2005) auf 78 664 (2008, Stand 30. Juni) gestiegen. "Die Linke" ist dabei, sich im Westen zu etablieren. Von alldem hat die Montagsdemo nicht profitieren können.

Einen "Linksruck in der Gesellschaft" will Dietrich Keil zwar ausgemacht haben, er ist Ratsherr in der Fraktion "Die Linke/DKP/AUF". Aber: "So eine Veranstaltung nützt sich natürlich ab." Auch Keil ist von Beginn an dabei. "Die 30, die jetzt noch da sind, sind die hartnäckigsten", sagt Keil. "Darauf sind wir stolz."

Kundgebung Nummer 200 am 18. August soll gefeiert werden, mit Luftballons und Kuchen. Und sie wollen weitermachen: "Bis Hartz IV weg ist!"

Notfalls noch Jahrzehnte, genau wie die Frauen in Argentinien. Auch, wenn fast niemand mehr hinhört.