Washington.. Die HipHop-Szene in den USA gilt nicht gerade als besonders liberal. Gerade Schwule leiden darunter. Als umso mutiger wird der Schritt von Rapper Frank Ocean empfunden. Die Reaktionen spiegeln einen Wandel.
Noch nicht lange her, und in den immer noch vereinigt verklemmten Staaten von Amerika wären Menschen wie Christopher „Lonny“ Breaux von den Kreuzrittern der wahren Lehre wohl mit einem Handstreich erledigt worden. Vor allem in seinem Metier: dem Prahlhans-Reich der schwarzen HipHop-Musik. Da, wo das Wort „faggot“ (Schwuchtel) zum Pflicht-Fluch-Repertoire gehört und nichts schwerer wiegt als die Angst, für schwul gehalten zu werden.
Umso größer war die Überraschung, als der aus New Orleans stammende Künstler, der seit Jahren als „Frank Ocean“ eine feste Fangemeinde besitzt und nebenbei Stars wie Jay-Z, Kanye West und Justin Bieber mit solidem Liedmaterial beliefert, jetzt via Internet in poetischen Worten seine unglücklich geendete Liebe zu einem Mann gestand. Der Aufstand blieb aus. Im Gegenteil.
Der 24-Jährige ertrinkt seither in einem Ozean der Lobeshymnen und Ehrbezeugungen. Allen voran Russell Simmons, der als Produzent Millionen verdient hat mit jenen Größen des Sprechgesangs, die nie einer lockeren Handhabung von Geschlechter-Identitäten das Wort gerappt hätten. „Dies ist ein großer Tag für den Hip-Hop“, schrieb Simmons. „Er wird darüber entscheiden, wer wir wirklich sind. Wie mitfühlend werden wir sein? Wie liebevoll können wir sein? Wie tolerant sind wir?“
Die Stimmung hat sich gewandelt
Dankes-Telegramme für den „mutigen Schritt“ kamen zudem von Stars wie Jamie Foxx, Adele und Beyoncé. Musik- und Gesellschaftskritiker in den USA reiben sich die Augen. Viele erinnern in diesen Tagen daran, dass Eminem, einer der erfolgreichsten Rapper, noch vor wenigen Jahren mit homophoben Klischees um sich warf wie mit Konfetti. Untergräbt Ocean ein ganzes Genre? Und woher rührt eigentlich die Gelassenheit, woher das Verständnis in der Öffentlichkeit?
Die erste Frage beantwortet sich offiziell seit Dienstag. Oceans neue Platte „Channel Orange“, einhellig von der Kritik hymnisch belobigt, ist am Dienstag in den Läden angekommen. Wer Stevie Wonder mag, aber auch Prince und D’Angelo, wer unaufgeregte, leicht bewölkte Texte über das Tohuwabohu namens Leben zu schätzen weiß, ist hier ordentlich aufgehoben.
Obama sorgte für "gewisse Entkrampfung"
Dass die große Kontroverse über Oceans Coming-Out ausblieb, hat laut „New York Times“ mit diversen Lockerungsübungen zu tun, die Amerika im Umgang mit dem Thema Homosexualität in jüngster Zeit unternommen hat. Noch vor zwei Jahren war es Schwulen und Lesben beim Militär untersagt, ihr Liebesleben offen zu zeigen. Die umstrittene Was-ich-nicht-weiß-macht-mich-nicht-heiß-Regel („Don’t ask, don’t tell“) ist mit dem Segen des Kongresses inzwischen aufgehoben worden.
Dass Barack Obama, anders als bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren, öffentlich gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften gutheißt, schreibt „Newsweek“, hat auch einen Beitrag zu einer „gewissen Entkrampfung“ geleistet. Wobei der Präsident letztlich nur eine Stimmung aufnimmt. Danach halten die Amerikaner Homosexualität, anders als noch vor zehn Jahren, eben nicht mehr für eine geistige Verirrung. Sondern für eine „zu akzeptierende Normalität“, die der texanische Schriftsteller und Bänkelsänger Kinky Friedman so beschrieben hat: „Die Schwulenehe geht völlig in Ordnung. Warum soll es denen nicht genau so miserabel ergehen wie uns Heteros.“
Ocean im Vorprogramm von Coldplay
In dieser Konstellation fiel es auch CNN-Fernsehmoderator Anderson Cooper unlängst leicht, öffentlich in einem Klaus-Wowereit-Stil zu bestätigen, was eigentlich hinlänglich bekannt war: „Ich bin schwul, war es schon immer und fühle mich so glücklich, zufrieden und stolz, wie das nur möglich sein kann.“
Wie Ocean in Europa aufgenommen wird, zeigt der September. Bei vier Konzerten in Köln, Leipzig, Hannover und München wird er womöglich anderen die Show stehlen – im Vorprogramm von Coldplay.