Essen. Mehrere Geschäfte in Essen-Borbeck zeigten einer Großmutter und ihrer Enkelin die kalte Schulter, als die Kleine mal dringend musste. Der Toilettengang sei Kunden vorbehalten, heißt es auf Nachfrage. Juristisch ist das okay - aber ist es auch menschlich?
Janine Nölke ist geschockt: Ihre Mutter war mit ihrer Tochter (5) in Borbeck unterwegs. Als das Kind dringend zur Toilette musste, habe sie niemand hereingelassen.
„Meine Mutter hat eine Pizzeria angesteuert“, sagt Janine Nölke. „Nä, wir haben keine Toiletten“, habe die Antwort gelautet. Die Großmutter eilte zum Selbstbedienungs-Bäcker, weil das Kind kaum noch habe einhalten können. Die Reaktion: „Geht jetzt nicht, ich habe gerade geputzt. Da hätten sie zehn Minuten früher kommen müssen“. Auch der dritte Versuch der zunehmend empörten Großmutter in einer Spielhalle endete negativ: „Hier ist alles erst ab 18, auch der Toilettengang.“
Spielhalle: kein Zutritt für Kinder
Bei allem Verständnis, was solle das Kind denn sehen, was es nicht sehen darf, schüttelt die Mutter den Kopf. In jeder Pommes-Bude stehe doch ein Spielautomat. „Das Risiko für die Aufsicht ist zu groß, denn es können Geldbußen drohen“, erklärt eine Mitarbeiterin der Spielhalle auf WAZ-Nachfrage. Es gebe wegen des Jugendschutzgesetzes durchaus Kontrollen des Ordnungsamts. Kunden des Borbecker Wochenmarktes hingegen lasse man in der Spielhalle aufs WC, sie selbst kenne das Problem beim Warten auf die Straßenbahn warte: „Wo sollen die Leute hin?“
Beim Bäcker erklärt der Verkäufer, ihre Toilette sei nur für Kunden und Notfälle. „Wer zahlt sonst die Wasserkosten, wenn zu Marktzeiten unzählige Leute kämen?“ Dass Emelie nicht zur Toilette durfte, habe daran gelegen, dass das WC mit Putzmittel eingeschäumt gewesen sei. Und in der Pizzeria gilt auf Nachfrage: Nur für Kunden.“
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„Das habe ich auch schon erlebt, als ich damals hochschwanger eine Toilette suchte“, mischt sich eine Borbeckerin ins Gespräch an der Marktstraße ein, als wir dort Janine Nölke und Tochter treffen. Auch ihr habe niemand geholfen: „Ich musste nach Hause fahren.“
„In jedem Laden hätten wir mit Sicherheit Wasser für einen durstigen Hund bekommen, aber ein Kind Pipi machen zu lassen, ist nicht möglich“, sagt Janine Nölke fassungslos. Das sei ja auch kein Einzelfall. Die Großmutter war letztendlich gezwungen, „die Enkelin in der Öffentlichkeit abzuhalten. Das ist unmenschlich.“
Das findet auch Jürgen Bessel, Inhaber eines Optiker-Geschäfts an der Gemarkenstraße und Vorstands-Vorsitzender des Einzelhandelsverbandes: „Das ist doch eine Bürgerpflicht.“ Er verwehre niemanden, den Zugang zu seiner Toilette, „dafür gibt es doch keinen Grund.“ Bessel kann sich allerdings vorstellen, dass die Toilette etwa einer Apotheke aus Sicherheitsgründen tabu sein müsse.
Pinkel-Knöllchen droht auch noch
„Rein rechtlich gibt es kein Gesetz, dass einen Ladeninhaber verpflichtet, seine Toilette für Nicht-Kunden zugänglich zu machen“, sagt Christiane Behnke, Wirtin und Mitglied der Essener Gruppe des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Das sei nur ein „hartnäckiges Gerücht“. Aber auch sie sagt: „Ich würde niemanden verwehren, die Toilette zu nutzen.“
Zumal es für die Großmutter hätte teuer werden können: Ein Pinkelknöllchen der Stadt kostet 50 Euro, mit etwas Glück kommt man mit einer mündlichen Verwarnung davon: „Es ist eine Einzelfallentscheidung, mit der die Kollegen feinfühlig umgehen müssen“, sagt Stadt-Sprecherin Renate Kusch.
Eine Ordnungswidrigkeit ist es allemal, auch ein Polizist hätte das mit 50 Euro ahnden können. Aber Sprecherin Tanja Hagelüken sagt: „Ich kann es mir nicht vorstellen, denn die Kollegen entscheiden nach Verhältnismäßigkeit und mit Fingerspitzengefühl.“ Hier habe ja niemand wild gepinkelt, weil er zu faul war, eine Toilette aufzusuchen. Im Gegenteil. „Was auf der Strecke geblieben ist, ist die Menschlichkeit“, klagt Janine Nölke.“