Essen. . Der Vorschlag der EU-Kommission, Autos, die sieben Jahre oder älter sind, jährlich zum TÜV zu schicken, stößt auf Kritik. Laut Stadtverwaltung gibt’s derzeit 140.693 Pkws, die sieben Jahre oder älter sind. Davon sind 137.994 für den Straßenverkehr zugelassen. Dafür kassiere der Staat kassiert genug Steuern, sagen Betroffene.
„Alles Gute kommt von oben“, besagt ein deutsches Sprichwort und daran dürften Autofahrer zweifelsfrei denken, wenn Sie sich mit dem neuesten Vorschlag aus Brüssel auseinandersetzen: die EU-Kommission, in Person von Verkehrskommissar Siim Kallas, möchte die Sicherheit auf Europas Straßen verbessern und plant daher, jährliche Hauptuntersuchungen für Autos, die sieben Jahre oder älter sind, einzuführen. Begründet wird dies mit der Anzahl schwerer Unfälle, die auf technische Mängel bei in die Jahre gekommenen Wagen zurückzuführen sind. Aktuell müssen Halter in Deutschland nur alle zwei Jahre zum TÜV, um ihre Fahrzeuge untersuchen zu lassen.
Die Zahl der Betroffenen in Essen wäre jedenfalls kein Pappenstiel: Laut Stadtverwaltung gibt’s derzeit 140.693 Pkws, die sieben Jahre oder älter sind. Davon sind 137.994 für den Straßenverkehr zugelassen. Nimmt man Motorräder und Lkws noch hinzu, sind es 178.058. Davon haben wiederum 174.089 die Fahrerlaubnis. Von Borbeck bis Burgaltendorf zählt die Stadt insgesamt 329.635 Fahrzeuge, von denen 324.738 zugelassen sind. Zum Durchschnittsalter konnte die Verwaltung keine Auskunft geben, da sie dies nicht berechnen könne, hieß es gegenüber der NRZ. Das Kraftfahrzeugbundesamt nennt etwa als Bundesdurchschnitt 8,5 Jahre.
Negatives Echo der Autofahrer
Angesichts solcher Betroffenen-Zahlen dürften Auto-Werkstätten und Reparaturbetriebe sowie der TÜV doch strahlende Euro-Zeichen in den Augen bekommen, wenn der Kunde jährlich mögliche Mängel beim Kfz-Mechaniker beheben bzw. sein Fahrzeug prüfen lassen muss. Letzteres kostet ihn für die Hauptuntersuchung inklusive Abgasuntersuchung beim TÜV-Nord 83,50 Euro. Da wundert es nicht, dass die Reaktion der Befragten bei einer NRZ-Umfrage auf dem TÜV-Gelände in Frillendorf eher negativ ausfiel.
„Von diesem Vorschlag halte ich gar nichts“, sagt etwa Ralf Bindemann kurz und knapp, während er mit seiner Tochter im Auto auf seinem Termin beim Sachverständigen wartet. Acht Jahre sei sein Wagen alt und er sehe die zweijährige Prüfung als ausreichend an. Ins selbe Horn stößt auch Thomas Bröer aus Katernberg: „Ich finde das nicht gut. Der Staat kassiert genug Steuer“, moniert der 22-Jährige, der mit seinem kleinen Opel Corsa B aus dem Jahre 1993 ebenfalls unter den Betroffenen der neuen Regelung wäre.
Anders Heide Weber: „Wenn ein Auto sieben oder acht Jahre alt ist, finde ich das in Ordnung“, sagt die Fahrerin eines vier Jahre alten Cabrios. Sie gehe auch regelmäßig zur Inspektion. Deutlicher wird dagegen Silke Höche aus Altendorf: „Das ist totaler Schwachsinn und nur Geldmacherei“, sagt die 43-Jährige, die auf das Prüfergebnis ihres vier Jahren alten Renault Twingo wartet. Sie glaube nicht, dass durch die Regelung mehr Unfälle verhindert würden. Als eine „abgekartete Sache der Automobilindustrie“ kritisiert ebenso Matthias Kalde den Vorschlag.
„Keine Initiative des TÜV“
Das negative Echo auf den Vorschlag aus Brüssel kennt auch Rainer Camen, Pressereferent des TÜV-Nord, und betont im selben Atemzug: „Das ist keine Initiative des TÜV.“ Aber: Für eine Harmonisierung der Vorschriften in Europa kann er nur Gutes empfinden. „Die Nivellierung und Harmonisierung der Gesetzgebung in der EU sollte nur nicht dazu führen, dass das Prüfniveau, das bei uns sehr gut ist, nach unten geht“, warnt er. Etwa kenne man nicht überall in Europa die in Deutschland praktizierte Trennung von Prüfung und Reparatur. „Eine Mischung dieser beiden Bereiche wäre fatal aus Verbrauchersicht und aus Versicherungsgründen“, erklärt er.
Nachvollziehbarer wird der Kommissionsvorschlag durch die Mängelquoten, die Camen aus der Essener TÜV-Statistik bezieht. „Bei rund 17 Prozent der Fahrzeuge, die zu uns kommen und sieben Jahre alt sind, stellen wir Mängel fest. Bei den Neunjährigen sind es schon 22,2 Prozent und bei den Elfjährigen 27,9 Prozent.“ Je länger die letzte Hauptuntersuchung her sei, desto mehr Mängel würden gefunden, so das Fazit des Pressereferenten. Die häufigsten Mängelgruppen seien jedenfalls Licht und Elektrik, die Bremsen, die Umweltbelastung sowie Achsen, Räder und Reifen.
Dass jährliche Hauptuntersuchungen für Pkws, die sieben Jahre oder älter sind, auch Mehrarbeit für den TÜV bedeuten, ist Rainer Camen bewusst. Sorgen macht er sich, sollte die neue Regelung in Kraft treten, aber eher über die Suche nach neuem Personal: „Sachverständige pflückt man nicht vom Baum.“ Den Hinweis auf jährliche zu erwartende Mehreinnahmen und darauf, dass die Autoprüfung für den TÜV ja kein Zuschussgeschäft sei, lässt er so nicht gelten: „Wir sind kein Unternehmen, was aus Profit wirtschaftet. Es bereichert sich bei uns keiner daran.“
TÜV-Statistik in Essen 2011
49,4 Prozent der Fahrzeuge, die 2011 an den vier Essener TÜV-Stationen von den Sachverständigen geprüft wurden, hatten keine Mängel. 21,6 Prozent hatten dagegen „erhebliche Mängel“. Diese Wagen mussten repariert werden. Bei insgesamt 29 Prozent stellten die Prüfer „geringe Mängel“ fest. Als „verkehrsunsicher“ wurden zwei Fahrzeuge eingestuft. Die Reihenfolge der häufigsten Mängelgruppen lautet: Licht und Elektrik, Bremsen, Achsen, Räder, Reifen und Umweltbelastung.