Essen. . Essen hinkt beim Ausbau der Betreuung hinterher – für Eltern bedeutet das Stress. Von einer „Mammutaufgabe“ spricht der zuständige Dezernent Peter Renzel. Im Online-Forum Keinkitaplatzessen.xobor.de kommen Eltern schon mal zu harschen Einschätzungen.
Seit wann sie nach einem Kita-Platz sucht, kann Cindy Apold genau benennen: „Seit Lea geboren ist.“ Seit 15 Monaten also. Wenn man schwanger sei, spreche einen ja jeder auf die spätere Betreuung des noch ungeborenen Kindes an. „Selbst die Hebamme sagte: ,Wenn’s da ist, gehen Sie sofort zum Kindergarten.’“ Gleiches hörte sie vom Babybesuchsdienst des Jugendamtes.
Jugendhilfeplanerin Anne Müting bestätigt: „Wir raten den Eltern, sich bei mehreren Einrichtungen zu melden.“ Wer sich auf eine Wunsch-Kita versteife, stehe am Ende vielleicht ohne Platz da. Familien, die beim Jugendamt einen Rechtsanspruch geltend machen, erhalten zwar auf jeden Fall ein Angebot. Doch erstens will nicht jeder den Rechtsweg beschreiten, zweitens gibt es keine Garantie, dass das Kind dann einen Platz in einem fußläufigen Kindergarten erhält.
"Vergabepoliti ist eine Katastrophe"
Im Online-Forum Keinkitaplatzessen.xobor.de kommen Eltern darum schon mal zu harschen Einschätzungen: „Die ganze Vergabepolitik ist eine Katastrophe“, ächzt eine Mutter. Ein Vater antwortet: „Wer dringend auf einen Platz angewiesen ist, dem kann man nur raten, aus Essen wegzuziehen. In den Nachbarstädten ist es deutlich entspannter, was Plätze insgesamt, und erst recht was U 3 angeht.“
U 3, das sind die unter drei Jahre alten Kinder, die ab August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz haben. Für Städte wie Essen, die jahrelang beim Ausbau der Plätze für Kinder über drei Jahren hinterherhinkten, bedeutet das einen gewaltigen Kraftakt. Auch wenn der Bund den Rechtsanspruch für die Kleinsten zunächst mit einer Versorgungsquote von etwa 35 Prozent als erfüllt betrachtet.
Versorgungsquote stiege für Kinder unter drei auf 29 Prozent
Von einer „Mammutaufgabe“ spricht daher der zuständige Dezernent Peter Renzel. Und während eine Millionenstadt wie Köln in einem Jahr 2500 neue Plätze schaffen will und damit eine Versorgungsquote von 40 Prozent bei Kindern unter drei anpeilt, will Essen zum Kindergartenjahr 2012/ 13 immerhin knapp 800 neue Plätze schaffen. Die Versorgungsquote stiege damit für Kinder unter drei auf 29 Prozent, für Ü 3-Kinder auf 94,7 Prozent. Theoretisch.
Tatsächlich werden zum Start des Kita-Jahres im August nur 40 Prozent der neuen Plätze verfügbar sein. Sprich: Statt wie geplant insgesamt 2203 U 3-Plätzen anbieten zu können, werden es 2016 sein, statt den insgesamt 14 277 Plätzen für Kinder über drei werden es 13 989 sein. Das sei eine ziemlich hohe Differenz, räumt Müting ein: „Aber die fehlenden Plätze werden im laufenden Jahr geschaffen. So haben hineinwachsende Jahrgänge oder Familien, die zuziehen, eine Chance auf einen Kita-Platz.“
Lea soll mit zwei in den Kindergarten kommen
Auch für Cindy Apold wäre ein Einstieg mitten im Kita-Jahr denkbar: Lea soll möglichst mit zwei in den Kindergarten kommen – das wäre in neun Monaten. Bei einem halben Dutzend Einrichtungen im Viertel hat sie ihre Tochter schon angemeldet: „Aber etwas Konkretes konnte uns niemand sagen.“
Angewiesen ist Cindy Apold auf die Kita nicht: Seit Lea ein Jahr alt ist, arbeitet die Personalfachkauffrau wieder in Teilzeit, zwei Tage die Woche passt ihre Mutter auf die Kleine auf. „Trotzdem möchte ich, dass Lea mit zwei in die Kita kommt, dass sie mit anderen Kindern spielt, ihr Sozialverhalten schult.“ Weil immer mehr Eltern diesen Wunsch haben, sind die neu geschaffenen Plätze für Kleinkinder rasch ausgebucht. Umgekehrt beobachten die Tagesmütter, dass ihnen ihre Klientel verloren geht. „Früher kamen die Kinder so mit sechs Monaten und blieben bei mir, bis sie mit drei in den Kindergarten wechselten. Heute bleiben sie immer kürzer, das ist schade“, findet Heike Vieth (52), die selbst erwachsene Zwillinge hat und seit 20 Jahren als Tagesmutter arbeitet. Ihre Kollegin Dorothee Amen (40) bestätigt diese Beobachtung: „Mir hat eine Familie ganz kurzfristig abgesagt, weil sie plötzlich einen Kita-Platz bekam. Für viele Eltern sind wir nur noch die letzte Wahl.“ Vieth und Amen bedauern das, gerade die Kleinsten seien bei ihnen gut aufgehoben. „Sie lernen in einem überschaubaren Umfeld mit anderen Kindern zu spielen.“
So stellt sich das Natali Butz für ihren zehn Monate alten Sohn Nikita vor: „Mit zwei soll er zur Tagesmutter, um Spielkameraden kennenzulernen.“ Sie brauche keine Vollzeitbetreuung, weil sie die Zeit mit dem Kind genieße: „Ich habe keine Eile, wieder arbeiten zu gehen.“ Dennoch fängt sie nun an, sich Kitas anzusehen. „Glauben Sie mir, ich bin schon spät dran, alle Mütter mit gleichaltrigen Kindern haben sie längst angemeldet.“