Essen. In der Politik tobt ein Streit über Betreuungsgeld, Kita-Pflicht und Familienbilder. Wir haben sechs Frauen verschiedener Generationen gefragt, welche Mutterrolle sie für sich in ihrer Zeit gefunden haben. Etwa die Geschichte von der 99-jährigen Hildegard Mecking, deren erster Sohn im Krieg zur Welt kam.

Als ihr Sohn geboren wurde, war ihr Mann Soldat: „Das war im Krieg, 1940. Da haben mich meine Eltern ins Krupp-Krankenhaus gebracht“, erzählt die 99-jährige Hildegard Mecking. Zu Kriegsbeginn habe ihr Mann noch Heimaturlaub bekommen, „dann war er in Russland – ich sah ihn zwei Jahre lang nicht“.

Zwei Jahre, in denen der Krieg nach Essen kam: „In mancher Nacht gab es dreimal Bombenalarm, ich rannte mit dem Kind zum Bunker, wo die Leute vor Angst beteten.“ Sie selbst sei in der Gefahr ruhig geworden – und sie habe viel Glück gehabt. „Nachbarn gaben mir Äpfel für den Kleinen. Stadtwald war ja ein Dorf, da half man sich.“ Nur als ihr Mann 1944 verwundet heimkam, kannte der Sohn seinen Vater nicht.

Nach dem Krieg habe sie nie wieder schwere Zeiten erlebt. 1946 wurde ihre Tochter geboren; ihr Mann war Kaufmann, die Familie kam zu Wohlstand. „Ich ging mit den Kindern spazieren, die Putzfrau machte sauber. Und sonntags kochte ich nie, da aßen wir bei meiner Mutter.“

Mit 97 Jahren nach Mallorca

Obwohl sie als junge Frau Anwaltsgehilfin war und den Beruf liebte, habe sie später nie mehr gearbeitet: „Ich hab’ Französisch gelernt.“ Und als die Kinder aus dem Haus waren? „Bin ich dreimal im Jahr in Urlaub gefahren.“ Ja, sie sei verwöhnt worden, von den Eltern, vom Schicksal. Sie hat einen Enkel, zwei Urenkel und ist für eine Frau von fast 100 bemerkenswert fit. Erst 2009 zog die Witwe ins Seniorenstift St. Andreas in Rüttenscheid, weil sie nun einen Rollstuhl brauchte. „Aber mit 97 war ich mit dem Heim auf Mallorca.“

Eine Praxis und drei Kinder 

Sie verabredet man sich mit einer dreifachen Mutter, die eine HNO-Praxis mit zwei Standorten hat? In der Mittagspause: Shabnam Fahimi-Weber (42) kommt für eine Dreiviertelstunde nach Hause, Lili (7) und Luis (9) holen den fünfjährigen Theo vom Kindergarten ab, die Kinderfrau hat gekocht. Zeit für Foto, Interview und Essen.

Als sie das erste Kind erwartete, hatte sie die Gemeinschaftspraxis noch nicht lange, aber sie lief gut, die Arbeit machte Spaß. Kurz: „Ich wollte auf jeden Fall weitermachen.“ Obwohl auch ihr Mann niedergelassener Arzt ist, gönnte sich die junge Ärztin keine Pause. Hochschwanger stand sie am OP-Tisch, der wegen ihres Bauches extra verschoben werden musste, und nach der Geburt ging’s weiter: „Stillen, drei Stunden Praxis, Stillen. . .“ Das sei eine Riesenumstellung gewesen, seither habe sich alles stetig besser eingespielt. „Dazu gehört, dass wir nie an Haushaltshilfen und Kinderfrauen sparen mussten.“ Heute sei ihre eigentliche Arbeitszeit kein großes Problem, nervig aber mitunter die Organisation von fünf Terminplänen, das Jonglieren mit Fußball-Training, Klavierstunde oder Tennis.

Fünf Jahre nicht operieren - unmöglich

Trotzdem wirkt Familie Weber nicht gestresst, sondern gelassen: Wobei hilft, dass sich die Eltern regelmäßig einen Babysitter und einen Abend für sich gönnen. Und die Kinder sind ausgeglichen und schon sehr selbstständig: „Wäre es anders, würde ich auf den Job verzichten. Aber so wäre es verschenktes Know-How: Fünf Jahre nicht operieren – da kommt man kaum wieder rein.“

Die Welt zu Gast bei Krones 

Bei uns war immer der Bär los“, sagt Leonie Krone (68), darum habe sie nie bereut, ihren Beruf aufgegeben zu haben. „Dabei hab’ ich gern als Bankkauffrau gearbeitet. Finanzen – das war das Wichtigste für mich.“ Bis zur ersten Schwangerschaft; da sagte sie zum Chef: „Ich wechsele meinen Beruf, ich werde Hausfrau .“ Ihr Mann hatte als Ingenieur lange Arbeitstage, sie sorgte für Nahrung und Nestwärme. „Heute werden die Kinder ja bei der Kita angemeldet, bevor sie geboren sind.“

Leonie Krone, (68) mit einem Bild aus einem Familienurlaub. Foto: Ulrich von Born
Leonie Krone, (68) mit einem Bild aus einem Familienurlaub. Foto: Ulrich von Born © WAZ FotoPool

Ihr Sohn Nils, der inzwischen 40 ist und selbst zwei kleine Kinder hat, sei erst mit vier in den Kindergarten gekommen. „Trotzdem halte ich das Betreuungsgeld für falsch, weil dann auch Kinder zu Hause bleiben, die nur vor der Glotze sitzen.“ Sie selbst hat ihrem Sohn und der zwei Jahre jüngeren Tochter Leonie immer mit Hingabe vorgelesen – und den Nachbarskindern gleich mit. Zu Mittag deckte sie oft einen Teller mehr für den Besuch ihrer Kinder.

Post aus Bolivien an die Vize-Mutti

Schwer wurde es, als Nils als Teenager ein Jahr nach Australien ging. „Anfangs hatte er Heimweh, und ich Sehnsucht. Ich lief nur mit Sonnenbrille rum.“ Später ließ sie auch ihre Tochter nach Brisbane gehen. Und während ihre Kinder die Welt entdeckten, hatten Krones die Welt zu Gast: 13 Austauschschüler aus Amerika, Ungarn, Frankreich, Australien hat sie bewirtet, bespaßt, getröstet. Heiner aus Bolivien schreibt bis heute an „meine Vize-Mutti“. Als die Kinder auszogen, wartete eine neue Herausforderung auf Leonie Krone: „Ich musste wieder lernen, für zwei Personen zu kochen.“

Familie steht bei Andrea Meinert an erster Stelle 

Eins stand für Andrea Meinert fest, als vor gut 17 Jahren ihr erster Sohn geboren wurde: „Ich setze kein Kind in die Welt, um den ganzen Tag zu arbeiten.“ Sie gab ihre Stelle als Arzthelferin auf. Doch als Marvin zwei war, trennte sie sich von seinem Vater. „Da musste ich arbeiten, selbst wenn der Kleine krank war – das war schlimm.“ Ohne ihre Eltern hätte es gar nicht geklappt.

Andrea Meinert (42) mit (v.l.) Fabian (8), Marvin (17) und Niko (11). Foto: Olaf Fuhrmann
Andrea Meinert (42) mit (v.l.) Fabian (8), Marvin (17) und Niko (11). Foto: Olaf Fuhrmann © WAZ FotoPool

Sie war nur kurz alleinerziehend, lernte zum Glück bald ihren heutigen Mann kennen, mit dem sie zwei weitere Söhne bekam: Niko (11) und Fabian (8). Für sie hatte sie alle Zeit der Welt und genoss es; betreute noch ein Jahr ein Tageskind. Beide Söhne kamen erst mit vier in den Kindergarten. Als Fabian soweit war, entwickelte sie langsam „Sehnsucht nach der Arbeit, nach Gesprächen mit Erwachsenen“ und fand eine Stelle in einer Praxis gegenüber der Wohnung. „Teilzeit und kein langer Weg waren meine Bedingungen.“ Die 42-Jährige will Zeit für Familie & Co. haben: Sie ist im Elternverein aktiv, backt für jedes Buffet Kuchen, steht beim Schulfest am Grill. Es trifft sich, dass sie bald als Multifunktionskraft an Fabians Grundschule wechselt: „Als Mädchen für alles.“

Bei jedem Schulfest ist sie aktiv

Was sie nerve, seien Einsätze als Mama-Taxi, die Fahrten zu Spiel und Sport. Aber die Kinder werden ja groß, Marvin hat schon den Führerschein. „Und der schleppt jetzt auch mal den Großeltern die Einkäufe in den Keller.“ Die leben im selben Mietshaus und tun auch viel für ihre Enkel. Familiensinn, wie er Andrea Meinert wichtig ist: „Ich pass’ später auch auf meine Enkel auf.“

Thea Slavik kümmerte sich gern um die Kinder 

Sie hat im Kruppschen Konsum als Verkäuferin gearbeitet, „am liebsten an der Kasse, das lag mir“. Sagt Therese Slavik (72), die von allen Thea genannt wird. Als ihre Tochter Sabine geboren wurde, habe sie aufgehört zu arbeiten. Das ist nun ein halbes Jahrhundert her, und war damals selbstverständlich. „Ich hatte eine Menge Bekannte, die auch Hausfrauen waren. Wir trafen uns auf dem Spielplatz am Frohnhauser Markt, da war uns nicht langweilig.“ Den Kindern auch nicht: Sabine hat nie einen Kindergarten besucht.

Therese
Therese "Thea" Slavik, 72, mit einem Bild von Enkel Patrick. Foto: Kerstin Kokoska © WAZ FotoPool

Als Sabine schon zehn war und zur Realschule kam, war Thea Slavik wieder schwanger. „Mein Schwiegervater, der war Bergmann, sagte: Wenn’s ein Junge wird, kriegste 1000 Mark. Hat er auch gemacht.“ Es war quasi ihr Betreuungsgeld und trotzdem schickte sie Jörg in den Kindergarten: „Weil’s bei uns in der Straße keine Spielkameraden für ihn gab.“

An eine Rückkehr in den Konsum habe sie nie gedacht. Sie sei zu lange draußen gewesen, und ihr Mann, der Bohrwerksdreher war, sagte: „Bleib’ zu Hause. Ich verdien’ genug, wir kommen über die Runden.“

1000 Mark für einen Jungen

Nun ist sie seit 27 Jahren Witwe, hat lange im selben Mietshaus wie Sabine und ihre Familie gewohnt. Bis sie in den Rollstuhl kam und lieber ins Alfried-Krupp-Heim umzog – in Frohnhausen, wo ihre beiden Kinder und die drei Enkelsöhne nah sind. Ihre Tochter habe anders als sie selbst immer gearbeitet, in Teilzeit in der Drogerie. Aber Zeit für ihre Mutter hat sie doch: „Meine Tochter kommt jeden Tag zu Besuch und am Wochenende bringt sie Torte.“

Stewardess Susen Hoppe genießt die Elternzeit 

Kurzurlaub in Singapur, Cocktails in Buenos Aires, viermal an einem Tag nach Berlin und zurück und den Feierabend in München verbringen. So konnte der Alltag von Susen Hoppe aussehen, als sie noch als Stewardess arbeitete. Ihr Traumjob, für den sie ihr Germanistikstudium abbrach, der ihr „zehn schöne Jahre“ bescherte, „die ich heute noch mehr zu schätzen weiß“.

Susen Hoppe mit Sohn Frederik. Foto: Jan Dinter / WAZ FotoPool
Susen Hoppe mit Sohn Frederik. Foto: Jan Dinter / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Denn seit ihre Tochter Greta vor knapp vier Jahren zur Welt kam, ist Susen Hoppe zu Hause. Ende 2011 wurde ihr Sohn Frederik geboren, nun wird sie wohl noch einmal drei Jahre Elternzeit nehmen. Weil ihr Beruf und ein Baby kaum vereinbar sind, weil ihr Mann als Bauingenieur in Lünen arbeitet und die Großeltern zu weit weg wohnen, um Babysitter zu spielen, aber vor allem: „Weil ich es schön finde, diese Zeit mit meinen Kindern zu haben.“

Darum hätte die 35-Jährige nichts gegen 150 Euro Betreuungsgeld einzuwenden; weiß aber, dass andere Mütter früh auf einen Kita-Platz angewiesen sind. „Dass ich sogar vier Jahre aussetzen könnte, ohne meine Stelle zu verlieren, ist ein Luxus.“ So konnte sie verschmerzen, dass Greta nicht gleich zum dritten Geburtstag in die Kita kam. „Frederik soll aber früher in den Kindergarten, damit er nicht so große Eingewöhnungsprobleme wie seine Schwester hat.“

Allein im Hotel und keiner ruft Mama

Wenn sie später ins Flugzeug zurückkehrt, müsse sie über ein Au-Pair-Mädchen nachdenken, schließlich wäre sie manchmal tagelang fort. „Wenn hier die Bude brennt, träume ich schon davon: ein Zwischenstopp im Hotel – und keiner ruft Mama.“