Essen. . In Schönebeck sehen Politik und Stadt keine andere Möglichkeit, ein Naturschutzgebiet zu schützen, als es einzuzäunen. Auf rund 1,4 Millionen Euro wird der „Naturschutzwert“ des Wäldchens am Ende des Kamptals geschätzt - doch Spaziergänger mit und ohne Hund, Dirtbiker und spielende Kinder haben den Buchen zugesetzt.
Auf den ersten Blick sieht das Schönebecker Buchenwäldchen aus wie ein ganz normales kleines Stück Wald. Naturfreunde, die sich mit Bäumen besser auskennen, geraten beim Anblick der Stämme jedoch ins Schwärmen: Über 40 Buchen dürften bereits älter sein als 130 Jahre, seltene Fledermäuse und Höhlenbrüter finden hier ein Versteck. Auf rund 1,4 Millionen Euro wird der „Naturschutzwert“ des Wäldchens am Ende des Kamptals geschätzt, unweit der Heißener Straße. „Ein einzigartiger Buchenwald, den es so in Essen nicht ein zweites Mal gibt“, heißt es bei Grün und Gruga. Doch das Kleinod ist in akuter Gefahr: Spaziergänger mit und ohne Hund, Dirtbiker, spielende Kinder – sie haben den Buchen so sehr zugesetzt, dass alle, die sich mit dem Konflikt beschäftigen, keinen anderen Ausweg sehen: Die Natur kommt hinter einen stabilen Gitterzaun, mit einbetonierten Pfosten, zwei Meter hoch.
Ein Wald wird eingezäunt? „Es geht nicht anders, sonst müssen die Bäume gefällt werden“, bekräftigt Bezirksbürgermeister Helmut Kehlbreier (SPD), der sich dabei auf ein neues Gutachten beruft, das bei einer Bürgerbegehung am Mittwochabend rund 40 Essenern vorgestellt wurde. Wobei dies nicht nur eine Frage des Naturschutzes ist: Buchenäste neigen extrem dazu, ohne Vorwarnung abzubrechen. Bei einem Unfall haftet jedoch die Stadt, bei ihr liegt die Verkehrssicherungspflicht, daran lässt die aktuelle Rechtsprechung keine Zweifel, sagt Bernd Schmidt-Knoop, zweiter Betriebsleiter bei Grün und Gruga: „Wir müssen handeln.“ Die intensive Freizeit-Nutzung erhöhe nur die Gefahr: Der Boden unter den Bäumen sei so sehr verdichtet, dass es die Buchen lange nicht mehr aushalten werden, junges, nachwachsendes Grün habe ebenfalls keine Chance: „Das wird leider alles niedergetrampelt.“ Mit Naturschutz in einem dafür ausgewiesenen Gebiet habe dies nichts mehr zu tun.
„Das soll in Schönebeck schon ein Einzelfall bleiben“
„Wir befürworten deshalb den im Gutachten vorgeschlagenen Zaun“, sagt SPD-Ratsfrau Daniela Kämper. „Im Naturschutzgebiet hat außer den dort lebenden Tieren und Pflanzen niemand etwas zu suchen.“ Auch Grünen-Bezirksvertreter Thorsten Drewes sieht keine andere Chance: „Am Zaun führt kein Weg vorbei.“ Dies sei im Kamptal eine ganz besondere Situation: „Wir können jetzt natürlich nicht unsere Wälder einzäunen, das will auch keiner“, betont Rolf Fliß, umweltpolitischer Sprecher der Grünen. „Das soll in Schönebeck schon ein Einzelfall bleiben.“
Das würde auch recht teuer: Auf rund 50.000 Euro werden die Kosten für den Zaun rund um das Buchenwäldchen taxiert, das etwa ein Drittel des Naturschutzgebietes Kamptal ausmacht. An einem angrenzenden Maisfeld muss die Stadt dazu noch ein kleines Grundstück erwerben, damit zwischen Zaun und letztem Baum eine sechs bis sieben Meter freie (Fall-)Fläche für abbrechende Äste bleibt. Der Zaun, auch darüber waren sich bei der Bürgerbegehung alle einig, soll sehr massiv ausfallen: „Alles andere wird durchlöchert, zerstört oder sogar geklaut.“
Keine Rundumbewachung möglich
Eine Alternative, betonen Politik und Verwaltung immer wieder, gebe es nicht: „Wir können den Wald nicht rund um die Uhr bewachen“, sagt Bernd Schmidt-Knoop. Versuche, auf die Vernunft der Waldnutzer zu setzen, seien allesamt gescheitert, hat auch Ulrich Hamann, der Leiter der Unteren Landschaftsbehörde festgestellt: „Am Ende sind alle wieder durchs Naturschutzgebiet gelaufen.“ Aber deshalb könne und wolle die Stadt nun auch nicht überall dort, wo es Konflikte gebe, Zäune ziehen. „Es gibt schon noch einige Problemstellen“, sagt Bernd Schmidt-Knoop, „aber natürlich hat der Bürger auch einen Anspruch darauf, die Wälder zu nutzen, das wollen wir auch ermöglichen“. Selbst den ungebetenen Gästen: So greifen Förster und Waldarbeiter regelmäßig zur Schaufel oder nehmen gleich den Bagger, um Dirtbike-Strecken zu zerstören – eine Sisyphusarbeit.
Da ist schon etwas dran: Alle Versuche, an die Dirtbiker-Szene heranzutreten, sind bislang gescheitert: „Das ist wie mit den Sprayern. Die jungen Leute sind nicht organisiert, sie haben keine festen Orte, sie sind nicht zu greifen“, sagt Espo-Geschäftsführer Wolfgang Rohrberg, der seit Jahren versucht, eine Lösung für das Dirtbiker-Problem zu finden. Wenn man zu einem Treffe lade, kämen häufig nur zwei, drei Biker: „Das ist natürlich nicht die Szene“, sagt Rohrberg. „Wo sollen wir denn da eine Strecke anbieten?“
Beim Mountainbike Sportverein Steele 11 hätten sie da schon ein paar Vorschläge: Dessen zweiter Vorsitzender Reiner Schleifenbaum kann zwar auf einen Parcours an der Wolfskuhle zurückgreifen, der gerade umgebaut wird, „aber das ist doch nichts Richtiges, nein, wir haben schon andere Vorstellungen“. Die seien bislang aber alle gescheitert: „Es ist schwierig, immer gibt es irgendwelche Einwände.“ Der MSV stehe beim Naturschutz an der Seite von Grün und Gruga: „Wir haben selber schon illegale Strecken zerstört, wir sprechen die Leute an, nicht durch die Wälder zu brettern, aber wenn ich denen keine Alternative anbieten kann, löse ich das Problem auch nicht.“ Wobei es in Schönebeck nicht nur um die Dirtbiker gehe, das in der Tat bestätigen auch Grün und Gruga: „Sie sind Teil des Problems, aber sicher nicht für die Gesamtsituation allein verantwortlich.“ Ob der Zaun allerdings dem Buchenwäldchen helfen wird, daran hat Reiner Schleifenbaum so seine Zweifel: „Mal sehen, wie lange der hält.“