Essen. . Die SPD bejubelt bei der Landtagswahl ihre Rückkehr zu alter Stärke und holt alle Direktmandate. Sieben Abgeordnete vertreten Essen künftig in Düsseldorf. Der Landtagsabgeordnete Thomas Kufen will Chef der Ratsfraktion bleiben.

Die letzten beiden Male hat er hier oben mit geballter Faust seinen Jubel in den Saal geschrien: 2005, als die Christdemokraten die Wende im Land schafften. Und 2010, als er gegen den Trend und mit nur 1072 Stimmen Vorsprung sein Direktmandat verteidigte. An diesem Sonntagabend aber könnte der Titel des Lokals, in dem Manfred Kuhmichel den Wahlabend verfolgt, unpassender kaum sein: „Zur schönen Aussicht“. Pah.

Foto: Dennis Strassmeier
Foto: Dennis Strassmeier © WAZ FotoPool

Da nützt auch der sonnenbeschienene Blick aus den Panoramafenstern nichts – auf dem Bildschirm breitet sich vor dem 69-Jährigen und seinem Wahlkampf-Team ein Bild des Jammers aus. So desaströs, dass er schon um kurz nach sechs am Abend die Erkenntnis dieses Wahltags in eine Formel bringt: „Tja ihr Lieben, das war’s.“

Kuhmichels bittere Niederlage nach 22 Landtags-Jahren – es ist die Kehrseite von Peter Weckmanns Triumph. Zwei Mal hat der mittlerweile 60-jährige Sozialdemokrat versucht, den Südwahlkreis zu erobern. Dass es im dritten Anlauf jetzt geklappt hat, erfüllt SPD-Chef Dieter Hilser mit tiefer Genugtuung: Alle vier Essener Direktmandate sind jetzt (wieder) in sozialdemokratischer Hand, die anderen Parteien hieven ihre Abgeordneten diesmal nur über die Landeslisten ins Parlament: Thomas Kufen für die CDU, Mehrdad Mostofizadeh für die Grünen, Ralf Witzel für die FDP.

Foto: Sebastian Konopka
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Letzterer hat bei den oft totgesagten Liberalen immer auf Optimismus gemacht, aber wie gut es am Ende für die FDP lief, überraschte auch Witzel: Der lobt prompt „einen herausragenden Erfolg, der belegt, dass sich Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Konsequenz in der Politik auszahlen.“ Und er gönnt sich eine Spitze ins schwarze Lager, die einen schwarz-grünen Wahlkampf geführt habe: „Norbert Röttgen war unser bester Wahlhelfer, dafür kann man sich nur bedanken. Ich bin nicht Strategieberater der Union, aber da sollte die CDU mal auf allen Ebenen drüber nachdenken, ob ihr dieser Grünen-Flirt mehr genützt oder geschadet hat.“

Lange Gesichter gibt es an diesem Abend nicht nur bei den Schwarzen, sondern auch an der dunkelroten Front: „Das ist ja schlimmer als bei der alten PDS“, schallt es durch die Szenekneipe Panoptikum und Linken-Sprecher Rainer Burk ringt um Worte: „Es hat nicht am Wahlkampf vor Ort gelegen“, seufzt er und glaubt ein Stück „Intoleranz der Medien“ zu erkennen. Der linke Fraktionssprecher Hans Peter Leymann-Kurtz wird noch deutlicher: „Ein totales Desaster. Und ein kleiner Rückschlag für die Linke, aber ein großer für die Menschen in NRW.“

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Staatstragend gefeiert wird, wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, im grünen Büro: „Das ist eine klare Bestätigung der rot-grünen Koalition“, lässt sich Mehrdad Mostofizadeh vernehmen. Er hofft, „dass es angesichts der neuen Mehrheiten mit dem Politikstil der Minderheitsregierung nicht vorbei“ ist: „Der sollte auch die nächsten fünf Jahre prägen.“ Derweil feiern die Piraten im fernen Düsseldorf, kein Wunder bei diesen schönen Aussichten, die Tim Marius Kowalewski immer noch irgendwie unwirklich findet, „aber es macht riesig Spaß“. Wenn man gewinnt, ja.

Manfred Kuhmichel zuckt mit den Achseln: „Das Leben geht weiter“, sagt er tapfer und überspielt den Frust professionell. Er wird Peter Weckmann gratulieren, aber dafür muss er sich noch dessen Handy-Nummer besorgen. Bislang lief es ja noch andersrum. Aber der „schwarze“ Süden, er ist an diesem Sonntag rot geworden.

Von Sensationen und Nullnummern

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Fot:o Remo Bodo Tietz © WAZ FotoPool

Bei den Grünen wird in der Parteizentrale am Kopstadtplatz gefeiert – bei Rohkost, libanesischem Baklava, Mum- und Rotkäppchen-Sekt. „Wir konnten unserer Wähler gut mobilisieren. Das Ergebnis ist ein Erfolg“, sagt Grünen-Sprecherin Gönül Eglence. Klare Mehrheiten seien fürs Land wichtig. Dass die FDP noch zulegen konnte, freut sie eher weniger. Der Grund sei jedoch bei der CDU zu finden. „Norbert Röttgen hat ei­nen guten Wahlkampf für die FDP gemacht – und dafür sebst die Quittung kassiert“, so Eglence. Obwohl Dirk Kindsgrab nicht in den Landtag einzieht, hat sich der Wahlkampf für den grünen Kandidaten aus dem Essener Nord-Westen gelohnt: „Wir haben in den vergangenen Wochen alles gegeben, bis zum Schluss.“

Für Grünen-Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger zeigt der Ausgang der Wahl, dass die Menschen mit der grünen Haushalts-, Bildungs- und Energiepolitik im Land zufrieden sind. „Hier werden wir künftig noch energischer weiter arbeiten“, sagt sie. „Im Rat wird sich dadurch aber nichts ändern.“ Auch aufs Viererbündnis werde das Wahlergebnis keine Auswirkungen haben, „da müsste sich schon die SPD ändern“.

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Für Essens SPD-Parteichef Dieter Hilser ist eher Konstanz angesagt. Für die Sozialdemokraten habe sich ausgezahlt, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft 20 Monate lang habe zeigen können, dass sie Wahlversprechen halte: Ein beitragsfreies Jahr in den Kindertagesstätten, die Abschaffung der Studiengebühren und die Entlastung der Kommunen war vielen Essener Wählern offenbar Argument genug, um der SPD die Stimme zu geben.

Jubel bricht bei der FDP aus, als die Liberalen bei der ersten Hochrechnung noch bei 8,5 Prozent liegen. „Das ist schon eine kleine Sensation“, freut sich Frakti­onsvorsitzender Peter Schöneweiß. Für so eine Zahl habe sich die harte Arbeit der vergangenen Wochen gelohnt. „Noch vor knapp zwei Monaten haben wir bei 2,5 Prozent gedümpelt. Aber sei das Ergebnis auch Christian Lindner und seinem „hervorragenden Team“ zu verdanken. „Der Kandidat hat uns sicherlich zwei bis drei Prozent eingebracht.“

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Davon kann bei der Linken nicht die Rede sein: Wolfgang Freye, ihr Kandidat im Wahlkreis 67, spricht für seine Partei ebenfalls von einem schlechten Ergebnis, „das uns auf den Stand der Neugründung der Linken zurückwirft. Allerdings sind wir heute kommunalpolitisch in den Großstädten verankert. Das ist für uns die Basis, auf der wir auch im Land wieder gute Ergebnisse erzielen können. Es ist noch nicht aller Tage Abend.“ Kurz nach der ersten Hochrechnung machen sich die ersten Genossen im Panoptikum wieder auf den Heimweg. „Heute ist kein Tag zum Feiern“, so ein Mitglied. „Im Landtag sind wir nun eine Nullnummer, aber nicht im Land. Wir können schließlich auch gut außerparlamentarische Opposition“, meint Parteisprecher Rainer Burk.

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Sie haben Essen hinter sich gelassen und das Düsseldorfer Veranstaltungszentrum Zakk geentert: Die Piraten – 163 gibt es mittlerweile in der Stadt – feiern bis tief in die Nacht: „Die Stimmung ist überwältigend“, sagt Sprecher Tim Kowalewski , der dem die genaue Prozentzahl irgendwann am frühen Abend egal geworden ist: Siebenkommairgendwas, „ist doch egal“. Dass kein einziger Essener in den Landtag einziehen wird unter ihrer Flagge, findet Kowalewski unglücklich, „das ist ein blöd gelaufen“ aber im Nachhinein nicht zu ändern.

Thomas Kufen will Chef der Ratsfraktion bleiben

Trotz Manfred Kuhmichels bitterer Niederlage – die Essener Christdemokraten sind auch künftig mit einem Mann im Düsseldorfer Landtag vertreten: Thomas Kufen, dem 38-jährigen Fraktionschef der Christdemokraten im Rat, gelang der Einzug ins Parlament dank eines guten elften Platzes auf der Landesreserveliste seiner Partei.

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Ob Kufen damit künftig eine Doppelrolle als Landtagsabgeordneter und Fraktionschef der Essener Rats-CDU spielen darf, soll sich heute im Parteivorstand entscheiden. Für Parteichef Franz-Josef Britz – selbst einst in dieser Doppelrolle – , war diese Frage allerdings bereits am gestrigen Wahlabend beantwortet: „Ich halte es für ausgesprochen sinnvoll, dass Thomas Kufen den Fraktionsvorsitz beibehält.“ Das werde er seinen Parteifreunden auch so sagen.

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Kufen habe das Essener Viererbündnis aus CDU, Grünen, FDP und EBB „vorbildlich gemanagt“: „Ohne ihn hätte das nicht funktioniert“, sagte Britz. Der Parteichef hatte zwar nicht mit einem Wahlsieg der CDU gerechnet, aber noch weniger damit, „dass das Ergebnis so katastrophal wird“. Das habe vor allem daran gelegen, „dass wir den falschen Spitzenkandidaten hatten.“

Bei der CDU kein Wort davon, dass das Landtagswahl-Ergebnis Auswirkungen auf die lokale Politik haben könnte, und auch die Grünen winkten in dieser Hinsicht gestern ab: „Düsseldorf ist das eine, die Arbeit in Essen das andere“, betonte etwa Vorstandssprecher Mehrdad Mostofizadeh. Grund zur Kurskorrektur sehe er da nicht.