Essen. . Weil eine junge Mutter aufgrund der Pflege ihres behinderten Kindes mehr Zeit für ihr Medizinstudium brauchte, soll sie Bafög zurückzahlen. Das Amt ließ ihre Teilzeittäigkeit in einer Klinik nicht gelten. Ihre Klage war aussichtslos.

Eine studierende alleinerziehende Mutter von zwei Kindern bekommt die Ausbildungsbeihilfe Bafög nicht mehr, weil sie wegen ihrer Kinder, eines davon ist auch noch schwerbehindert, mehr Zeit für ihr Studium braucht. Das (Bafög-)Gesetz lässt keine Teilzeitausbildung zu.

An diese Bestimmung müssen sich auch die Gerichte halten, bedauerte ein Richter des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen fast diese gefestigte Rechtsprechung. Er machte der heute 35-Jährigen klar, dass ihre Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Die Essenerin nahm deshalb nach Beratung mit ihrem Anwalt die Klage zurück.

Junge Mutter schaffte mit Zeitverzug ihr Examen

Gegen Ende ihres Studiums der Medizin an der Uni Duisburg-Essen wurde die junge Frau Mutter. Mit großer Disziplin schaffte sie dennoch ohne großen Zeitverzug ihr Examen. Doch bei angehenden Ärztinnen und Ärzten wird anschließend ein „Praktisches Jahr“ verlangt. Das absolvierte die Klägerin an der Uniklinik. Um ihren Kindern gerecht zu werden und mehr Zeit für sie zu haben, beantragte sie eine „Teilzeitausbildung“.

Sie wollte das „Praktische Jahr“ in 15 Monaten absolvieren. Damit waren Uniklinik, Bezirksregierung und Landesprüfungsamt auch einverstanden. Nur eben das Bafög-Amt des Studentenwerks der Hochschule nicht. Als es von der Teilzeit-Regelung erfuhr, stoppte es nicht nur jede Zahlung, es verlangte sogar 7000 Euro von der Mutter zurück.

„Ich ziehe den Hut vor ihnen“, äußerte der Vorsitzende Richter all seine menschliche Hochachtung vor der Leistung der Klägerin. Das Bafög-Amt habe aber keine andere Entscheidung treffen dürfen. Die Medizinerin habe in Teilzeit gearbeitet, mehr als 40 Stunden pro Woche.

Mutter nahm Privatdarlehen auf und muss Bafög zurückzahlen

Neben den 30 Stunden in der Klinik musste sie Zeit aufwenden für Seminare, Repetitorien und so weiter. Dies zeige, dass angehende Mediziner in Vollzeitausbildung oft 50 Stunden oder weit mehr pro Woche beschäftigt seien. Tarifrecht oder andere Bestimmungen würden da nicht helfen. „Teilzeit ist eben Teilzeit“, bedauerte der Richter.

Das Gericht sah auch die familien- und sozialpolitische Brisanz des Falls. In Sonntagsreden setzen sich Politiker für junge Familien ein und betonen oft, dass Deutschland viele Kinder brauche. Doch das Bafög-Gesetz wurde nicht geändert, obwohl das Problem erkannt war. Bei vielen Gipfeltreffen der obersten Landesbehörden für Bafög und dem Berliner Wissenschaftsministerium sei dieses Thema erörtert worden, versicherte die Vertreterin des Essener Studentenwerks. Alle seien sich einig gewesen, dass Ausnahmeregeln für Teilzeitausbildung zum Beispiel für Mütter geschaffen werden müssten. Gescheitert sei eine Lösung am Geld. Keiner wollte zahlen. „Und ohne Öffnungsklausel kann es keine andere juristische Lösung geben“, meinte der Richter.

Die Klägerin ist inzwischen Ärztin, befindet sich in der Facharztausbildung an einer Klinik. Doch ohne ihren enormen Durchsetzungswillen hätte sie fast 20 Monate ohne Bafög finanziell nicht überstanden, ohne ihren Berufswunsch aufzugeben. Die aufgenommenen Privatdarlehen stottert sie bereits ab. Jetzt kommen noch einmal 7000 Euro für das Bafög-Amt dazu.

AZ.: 15 K 4455/10