Essen. . An Lukas K., der sich nach den tödlichen Messerstichen in Holsterhausen dem Essener Landgericht stellen muss, sind alle staatlichen Erziehungsbemühungen gescheitert. Das wurde am Donnerstag deutlich, als er selbst und die Jugendgerichtshilfe seinen Lebensweg nachzeichneten.

An Lukas K., den 18 Jahre alten „Messerstecher von Holsterhausen“, scheiterten alle staatlichen Bemühungen, ihn zu einem ordentlichen Menschen zu erziehen. Er selbst, aber auch die Jugendgerichtshilfe, zeichneten am Donnerstag vor der Jugendstrafkammer seinen Lebensweg nach.

Aus nichtigem Anlass hatte er am 13. November 2011 am Gemarkenplatz Streit mit einer Gruppe von vier jungen Fußballern des TuS Holsterhausen bekommen. Mit einem Tritt gegen den Oberkörper streckte er einen von ihnen, den 19 Jahre alten Tobias Götz, nieder. Als er auf seiner Flucht von den Fußballern eingeholt wurde, setzte er sein Messer ein. Tobias Götz und ein weiterer 19-Jähriger wurden getroffen, Götz starb noch am selben Abend im Krankenhaus.

Streit mit dem Freund der Mutter

Vor Gericht stellte der wegen Totschlags Angeklagte die Tat am ersten Prozesstag als Unfall dar: „Er ist mir ins Messer gelaufen.“ Anderen die Schuld am eigenen Verhalten zu geben, ist ihm nicht fremd. Als ihn 2010 an einem Morgen die Polizei nach Hause bringt, bekommt er Ärger mit dem Lebensgefährten seiner Mutter: „Der hat mich angeschrien und geschubst.“ Er habe den Mann getreten, nachher kam die Polizei, und er flog zu Hause heraus. „Da wäre ich auch böse, wenn mein Sohn von der Polizei gebracht würde“, wendet Richter Günter Busold ein. „Der ist aber nicht mein Vater. Der hat mir nichts zu sagen“, beharrt Lukas K. darauf, dass der Freund der Mutter schuld war.

Als jüngstes von vier Kindern seiner Mutter kam er 1993 zur Welt. Zwei seiner älteren Geschwister stammen vom ersten Mann seiner Mutter ab. Sein leiblicher Vater hat wohl große Alkoholprobleme, soll gewalttätig sein. Als Lukas K. fünf Jahre alt ist, trennt seine Mutter sich von diesem.

Jugendamt betreut die Familie

In der Schule gibt es Probleme, die erste Klasse muss Lukas K. wiederholen. Weil seine Brüder in der Schule aggressiv sind, betreut ab dem Jahr 2000 das Jugendamt die Familie. Zwei Kräfte kümmern sich um sie. Vor allem der Mutter soll geholfen werden, ihren Kindern Grenzen zu setzen.

2003 wird er aus der Familie genommen. Konzentration in der Schule, einer besonderen Förderschule, fehlt ihm. Aggressiv ist er, wurde auch schon in der Psychiatrie vorgestellt. Jetzt kommt er in Neukirchen-Vluyn ins Heim. Die Erzieher stellen fest, dass er zwei Gesichter hat. „Er fällt mit Aggressionen auf, gilt aber auch als hilfsbereit“, sagt die Jugendgerichtshelferin. Als er 13 ist, kommt er zurück zur Mutter, nachdem er oft das Heim verlassen hatte und von ihr aufgenommen wurde. Die Familie verzichtet auf weitere Hilfe des Jugendamtes. Zu dieser Zeit fängt er auch an mit Alkohol und Cannabis. Er machte, was er wollte, kannte keine Grenzen. „Die großen Probleme“, sagt die Jugendgerichtshelferin, „fingen mit der Pubertät an.“ Kein Einzelfall, nicht auf eine bestimmte Sozialschicht begrenzt: „Ich betreue den Essener Süden. Ich habe auch Kiffer am Grashof- und am Goethe-Gymnasium.“

Keine Grenzen aufgezeigt

Grenzen hätte die Mutter ihrem Sohn weiterhin nicht aufgezeigt, sagt die Jugendgerichtshelferin. Als 2008 die erste Anklage kommt, wendet die Mutter sich wieder an das Jugendamt. Lukas K. bekommt einen Betreuer. Der fährt Motorrad; bewusst wird ein Mann ausgewählt, um das fehlende Vaterbild auszugleichen. Weil die Konflikte mit der Mutter nicht aufhören, zieht er um zu seinem leiblichen Vater. Wie lief es? „Katastrophal“, sagt Lukas K. Er kehrt wieder zurück zur Mutter, auch dort eskaliert die Situation. Nach dem Rausschmiss schlägt er sich ein halbes Jahr bei Freunden durch, bekommt dann ab Anfang 2011 eine eigene Wohnung in der Innenstadt. Obwohl er jetzt 18 ist, hilft ihm weiterhin der Betreuer des Jugendamtes. Lukas K. strebt den Schulabschluss an, gilt als offener. „Auf mich wirkte er beim ersten Kontakt im September 2010 freundlich und schüchtern“; erinnert sich die Jugendgerichtshelferin an den Tag des Kennenlernens. 14 Monate später stellt er sich nach den tödlichen Messerstichen der Polizei, an seiner Seite die Mutter und der Betreuer.