Essen. . Mit einem warmherzigen Shalom, einem entspannten Stolz und einem umfangreichen Programm empfängt Tel Aviv die Delegation aus Essen. Auf der viertägigen Reise nach Tel Aviv wurde Oberbürgermeister Reinhard Paß von einer Ratsdelegation sowie vom Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, begleitet.

20 Jahre ist es her, da unterzeichneten Essen und Tel Aviv einen Partnerschaftsvertrag, und seither ist nicht mehr viel geschehen. Im Geflecht seiner Partnerstädte, das neben Paris, New York, Buenos Aires, Barcelona, Wien, Moskau und Peking auch Bonn, Köln und Frankfurt umfasst, hat Tel Aviv die Essener wohl einfach vergessen.

Doch nun da die zehnköpfige Delegation aus dem Ruhrgebiet gelandet ist, wischt Oberbürgermeister Ron Huldai bei einem Empfang im ehemaligen Rathaus alle denkbaren Irritationen beiseite. Im Galopp referiert er die Geschichte des 3000 Jahre alten Yafo und des 103 Jahre alten Tel Aviv, die heute eine Stadt bilden, kürzt seinen Vortrag mit einem beherzten „. . .und blablabla“ ab, um lächelnd zu verkünden: „Heute dient uns dieses Haus als Museum – und um unsere wichtigsten Gäste zu empfangen.“

„Wir haben die sichersten Straßen der Welt“

Warmherzigkeit und Humor, „Shalom und blablabla“, damit gibt Huldai den Ton für die kommenden vier Tage vor. Den Besuchern um Essens Oberbürgermeister Reinhard Paß präsentiert er die 400 000 Einwohner-Metropole mit entspanntem Selbstbewusstsein: Tel Aviv sei der geographische, kulturelle und wirtschaftliche Mittelpunkt Israels – „und wir haben die sichersten Straßen der Welt“. Huldai will nicht von Attentaten, Bedrohung und Soldaten sprechen, sondern wirbt lieber mit einer Quote von „einer Bar auf 220 Einwohner“, mit dem Ruf als Nonstop-City.

Eine entsprechend gute Kondition brauchen die Besucher aus Essen, deren Programm etwa mit einem morgendlichen Schulbesuch beginnt und mit einer Nacht im Museum zu Ende geht: Zur Eröffnung eines Jahres der Kunst wird wird der spektakuläre Neubau des Tel Aviv Museum of Arts eingeweiht, und Museumsdirektorin Shuli Kislev nimmt sich kurz vor Mitternacht die Zeit für eine Führung durch ihr neues Haus.

Auch mehr als 60 Jahre nach der Staatsgründung lebt in dieser Stadt und ihren Bewohnern der Pioniergeist der Anfangstage: Probleme sind Herausforderungen, Erfolge werden hergezeigt, mit Superlativen wird nicht gegeizt: Der Schulleiter wird als „der Mann mit dem großen Herzen“ vorgestellt, der Koch als einer der besten seines Fachs, die Stadt als absolut lebenswert.

„Unsere Familie ist größer geworden“ 

Gleichzeitig bestreitet niemand, dass Tel Aviv nicht gerade eine klassische Schönheit ist. Das schnelle Wachstum der Gründerjahre hat Spuren hinterlassen, billige Bauten schmiegen sich an Baudenkmäler, die als Weltkulturerbe geadelte Bauhaus-Siedlung ist zum Teil böse verschandelt. „Tel Aviv war ein Flickenteppich“, gibt Stadtplaner Yoav David unumwunden zu. 20 Jahre habe man gebraucht, um die Fehler der Vergangenheit zu erkennen, nun lege man Parks und Plätze an, schaffe einen besseren Zugang zum Meer, saniere alte Gebäude und verschreibe sich grünen Ideen. 6000 Bäume werden Jahr für Jahr gepflanzt, 120 Kilometer Radwege gebe es bereits, und der Bürgermeister habe die Vision, den Autoverkehr zu verbannen. Eine kühne Vision angesichts von aktuell einer Million Pendler.

Doch der frühere General Huldai, der seit 13 Jahren regiert, gilt nicht als feige. Er habe die Stadt umgekrempelt. auch gegen große Widerstände, heißt es. Das tolerante Klima in der Stadt tut ein übriges, um neben Touristen aus aller Welt auch Israelis aus dem gesamten Land anzulocken: Hier gibt es weibliche Rabbis, hier flanieren Schwule über die Boulevards. Anders als Essen ist Tel Aviv eine junge, eine wachsende Stadt: Ein Drittel der Bewohner sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Solche Attraktivität hat ihren Preis, günstiger Wohnraum ist rar, die Mieten und Immobilienpreise steigen. Auch daran haben sich die Sozialproteste im vergangenen Jahr entzündet.

Es ist der deutsche Botschafter Andreas Michaelis, der von solchen Problemen berichtet. Der auch darauf hinweist, dass die geopolitische Gesamtlage (Syrien, Iran) „düsterer ist, als es das sonnige Wetter glauben macht“. In Tel Aviv sei die Bedrohung nur verdünnt spürbar. „Diese Stadt ist eine Insel: Sie ist vielschichtiger, liberaler, säkularer als der Rest des Landes.“ Und während andernorts über schärfere Asylgesetze nachgedacht werde, nehme man sich in Tel Aviv der Flüchtlinge an. So wird den Essern eine Schule gezeigt, die auch Kindern offensteht, deren Eltern sich illegal im Land aufhalten.

Kultur, Bildung und Integration wird Oberbürgermeister Reinhard Paß denn auch als die Themen benennen, bei denen man in Zukunft von einander lernen könne. Wie die Willkommenskultur à la Tel Aviv aussieht, zeigen die Abschiedsworte, die Eliav Blizowsky vom Büro für Internationale Beziehungen für die Essener findet: „Unsere Familie ist größer geworden.“

Ein Schweizer öffnet Türen in Israel

Auf der viertägigen Reise nach Tel Aviv wurde Oberbürgermeister Reinhard Paß von einer Ratsdelegation sowie vom Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, begleitet. Die Fraktionen hatten folgende Ratsleute entsandt: Gabriele Giesecke (Die Linke), Barbara Rörig (CDU), Heinz Peter Schöneweiß (FDP) und Walter Wandtke (Grüne). Die SPD war durch Bürgermeister Rudolf Jelinek vertreten. Außerdem reiste Michael Theisen aus dem Amt für Ratsangelegenheiten und Repräsentation mit, der sich um die Kontakte zu den Partnerstädten kümmert und den Besuch in Israel maßgeblich vorbereitet hatte.

Für die meisten in der Delegation war es der erste Besuch in Israel; schon darum gehörte neben zahlreichen Terminen und Gesprächen in Tel Aviv auch eine Fahrt nach Jerusalem mit Besichtigung der Altstadt und der Klagemauer zum Programm. Tief bewegt zeigte sich die Delegation vom Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem, in der an die Opfer des Holocausts und ihre Schicksale erinnert wird.

Während der gesamten Reise erwies sich der Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, als wertvoller Türöffner, Erklärer und Übersetzer. Der 54 Jahre alte Schweizer hat in Jerusalem Geschichte studiert und pflegt bis heute intensive Kontakte zu Land und Leuten. So vermittelte er Begegnungen zu interessanten Gesprächspartnern und konnte jede Stadtführung um wertvolle Hinweise ergänzen. Der Stadt Essen ist zu wünschen, dass ihr Uri Kaufmann als Katalysator für die Partnerschaft mit Tel Aviv erhalten bleibt.