Essen. In Amerika spricht man längst von der „Generation 9/11“ - Bürger, die zum Zeitpunkt der Terroranschläge am 11. September 2001 zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Gibt es eine solche Generation auch in Deutschland? Für eine Studie der Uni Duisburg-Essen wird die Seite www.nach911.de freigeschaltet.
In Amerika spricht man längst von der „Generation 9/11“. Das sind jene Bürger, die zum Zeitpunkt der Terroranschläge am 11. September 2001 zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Gibt es eine solche Generation auch in Deutschland? Dieser Frage geht ab heute Carsten Ullrich (48) nach, der an der Uni Duisburg-Essen einen Lehrstuhl für Soziologie und Empirische Sozialforschung innehat. „Wenn Sie 20 Jahre alt sind“, sagt er, „dann prägt Sie ein Ereignis mehr, als wenn Sie 80 sind.“
Für eine Studie wird an diesem Donnerstag die Seite „www.nach911.de“ freigeschaltet. Es sind alle Bürger eingeladen, die zwischen 30 und 40 Jahre alt sind: Sie können dort offen ihre Gedanken zum Thema formulieren, „wobei wir keinen ‘rausschmeißen“, sagt Ullrich, „der etwas jünger oder älter ist.“
Interesse an internationalen Beziehungen
Was macht eine „Generation“ zu einer „Generation“? Es sind bestimmte Ereignisse von Weltbedeutung. Der Vietnamkrieg brachte zum Beispiel die „68er“ hervor. Bei den Anschlägen des 11. September sprach man sofort davon, dass „ab sofort nichts mehr so sein wird wie bisher“. Eine „generationsstiftende Wirkung“ wurde diesem Ereignis schon immer unterstellt. Bloß: Viel geforscht wurde dazu noch nicht. Die neue Homepage soll bis mindestens Herbst online bleiben. Dann sollen entsprechende Ergebnisse verschriftlicht werden.
Wie also hat der 11. September 2001 junge Menschen geprägt, sodass ihre Sicht auf die Welt zumindest in Teilen eine andere ist als jene ihrer Eltern? „In den USA hat man herausgefunden, dass diese Generation ein größeres Interesse an internationalen Beziehungen hat als ihre Elterngeneration“, berichtet Ullrich. Außerdem gebe es viel mehr Verständnis für militärische Aktionen und ein größeres Verständnis für staatstragenden Patriotismus. Die Vorgänger-Generation, „die 68er“, lehnten das noch viel stärker ab.
9/11 - Trauerfeier
Ob das in Deutschland auch so ist, bleibt fraglich: Die militärischen Interventionen wurden und werden hier ja vor allem kritisch gesehen. „Auch ein ausgeprägter Anti-Amerikanismus“, sagt Ullrich, „könnte in Deutschland Folge des 11. September sein.“ Als gesichert gilt, jenseits aller Diskussionen um die Bildung von Generationen, dass „9/11“ eine weltpolitische Zäsur bedeutet, was die großen Konfliktlinien angeht: Weg vom Ost-West-Konflikt hin zum Konflikt zwischen fundamentalem Islam und westlich geprägter Gesellschaft.
Gefühl von Verwundbarkeit und Bedrohung
Gibt es typisch deutsche Begebenheiten, die auch hier Generationen gegründet haben könnten? „Der Mauerfall“, sagt Ullrich, „war sicherlich nur im Osten des Landes ein Ereignis mit entsprechender Bedeutung. Für die Menschen im Westen, das muss man leider so deutlich sagen, war der Mauerfall nicht wichtig genug.“ Vielleicht der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im Jahre 1954. Ansonsten bezeichnet sich Ullrich selbst als Mitglied der „Generation Tschernobyl“, hat die Angst vor Umweltkatastrophen noch lebhaft in Erinnerung. Auch sie – die Angst – ist ein körperliches Phänomen, das in Amerika die „Generation 9/11“ ausmache: „Das Gefühl von Verwundbarkeit und Bedrohung ist sehr ausgeprägt.“
So funktioniert die Plattform im Internet: „Man muss sich zunächst einloggen und bestimmte Regeln für das digitale Miteinander akzeptieren“, erklärt Ullrich, der sein Projekt ausdrücklich nicht als Forum für Verschwörungstheorien verstanden wissen will, die noch immer durchs Internet geistern.