Essen. . Vor vier Jahren beschloss der Jugendhilfeausschuss den Ausbau mehrsprachiger Kitas. Seither hat genau ein Projekt Gestalt angenommen. Nun wirft eine engagierte Professorin der Verwaltung und den Trägern mangelndes Engagement vor.
An Willensbekundungen fehlt es nicht, doch die Umsetzung verläuft eher schleppend: Kindertagesstätten, in denen Englisch, Französisch oder Spanisch gesprochen wird, stehen nicht nur bei Eltern hoch im Kurs. Schon vor vier Jahren hat sich der Jugendhilfeausschuss für den Ausbau bilingualer Kitas ausgesprochen. Seither hat genau ein neues Projekt Gestalt angenommen: In der Kita Barthel-Bruyn-Straße soll ab August auch Spanisch gesprochen werden.
Nun wirft die Soziologie-Professorin Anja Weiß den Verantwortlichen in der Verwaltung und bei den Trägern mangelndes Engagement vor. In einem offenen Brief an den Oberbürgermeister und den zuständigen Dezernenten Peter Renzel bedauert sie, „dass der von fast allen Seiten gewünschte Prozess nachhaltig ins Stocken geraten ist“.
„In Essen fehlen Bildungschancen“
Anja Weiß forscht über hochqualifizierte Migranten und ist überzeugt, dass alle Kinder vom Besuch einer bilingualen Kita profitieren können; ganz unabhängig von der verwendeten Sprache. So habe ihr Sohn, als sie in München lebte, eine portugiesische Kita besucht. „Diese Bildungschance für meine Kinder habe ich in Essen vermisst.“
Dass eine multikulturell geprägte Stadt wie Essen nur eine englische und eine französische Kita in öffentlicher Trägerschaft vorzuweisen habe, mochte sie nicht hinnehmen. In ihrer Professorenkollegin Katja Cantone, einer Expertin für frühkindliche Mehrsprachigkeit, fand sie eine Mitstreiterin. Auch die Vertreter der Verwaltung und die Kita-Leitungen habe sie bei einer Fachtagung im Januar 2011 aufgeschlossen erlebt. „Doch dann verging mehr als ein Jahr, bis wir einen Gesprächstermin mit dem zuständigen Facharbeitskreis erhielten.“
Kinderfest der Kitas
„Ich hätte mehr Pioniergeist erwartet“
Der Termin Mitte Februar sei durch ein „freundliches Gesprächsklima“ gekennzeichnet gewesen, doch es habe keinerlei Fortschritte in Sachen zweisprachiger Kitas gegeben. „Stattdessen sagten einzelne Träger explizit, dass entsprechend interessierte Kita-Leitungen nicht auf ihre Unterstützung hoffen dürften“, bedauert Anja Weiß. Als Bremser habe sie vor allem die freien Träger erlebt, die in Essen das Gros der etwa 240 Kitas betreiben; städtisch sind nur etwa 40 Einrichtungen. Eine von ihnen ist die Barthel-Bruyn-Straße, die mit der Spanisch-Gruppe nun voranschreitet.
Verstehen kann die Professorin die Vorbehalte nicht: „Dadurch, dass in Kitas ohnehin zwei Erzieherinnen pro Gruppe arbeiten, ist Zweisprachigkeit kostenneutral.“ An polnischen, türkischen, arabischen oder russischen Muttersprachlerinnen fehle es in den Kitas auch nicht. „Bloß akzeptieren manche Träger ausschließlich Englisch als zweite Sprache – und da fehlt es hier an Muttersprachlern.“ Dabei erleichtere auch jede andere in frühester Kindheit erworbene Sprache später das Erlernen weiterer Fremdsprachen. „Darum wünschte ich mir auch von Bildungsdezernent Peter Renzel mehr Pioniergeist.“
Der wiederum lobt das „tolle Engagement“ der Professorinnen Weiß und Cantone, bestreitet jedoch, dass die Verwaltung bremse: Vielmehr arbeite sie in engem Kontakt mit den Trägern an einem Konzept mit verbindlichen Standards. So reiche es eben nicht, fremdsprachige Erzieherinnen einzusetzen. „Die benötigen auch eine entsprechende Qualifikation für die Sprachvermittlung.“ Im Sommer könne es eine neue Beschlussfassung im Jugendhilfeausschuss geben.
Und schließlich sagt Renzel: „Ich begrüße die Zweisprachigkeit, aber für viele Kinder in Essen muss das oberste Ziel sein, dass sie Deutsch lernen.“ Das Argument hat Anja Weiß schon öfter gehört: „Aber in einer guten zweisprachigen Kita lernen die Kinder selbstverständlich auch Deutsch.“