Essen. Der Chef der Essener Linken Hans-Peter Leymann-Kurtz spricht über den finanzpolitischen Schlendrian, verwischte Verantwortung, rot-rot-grüne Träume und die Zukunft der Messe Essen. Außerdem stellt er die offene Frage, ob eine Stadt wie Essen die Grundstücksverwaltung (GVE) überhaupt noch braucht.

Herr Leymann-Kurtz, träumen Sie manchmal von Duisburger Verhältnissen?

Hans-Peter Leymann-Kurtz: Sie meinen, weil dort SPD, Grüne und Linke zusammenarbeiten. Wenn ich mir die Kommunalwahlprogramme so ansehe, dann hätten diese drei Parteien auch in Essen die meisten Gemeinsamkeiten, auch in der Sozialpolitik. Die Grünen haben die Chance vertan.

Woran ist es aus Ihrer Sicht gescheitert?

Leymann-Kurtz: Parteiprogramme sind das eine und Befindlichkeiten vor Ort das andere. Die Essener Grünen sind seit vielen Jahren dran gewöhnt, mit der CDU zu kooperieren, sie sind regelrecht in die CDU implementiert worden, man hat sich auch chemisch aneinander gewöhnt. Letztlich ist das kulturell folgerichtig, die Grünen sind längst eine bürgerliche Partei, die mit einer anderen bürgerlichen Partei zusammengeht. Warum auch nicht? Wenn es den Grünen genügt, in einer bürgerlichen Notgemeinschaft Überschriften zu produzieren – bitte.

Es klingt, als würden Sie sich als früherer Grüner an der Vergangenheit abarbeiten.

Leymann-Kurtz: Nein. Ich stelle allerdings fest, dass ich politisch ungefähr da bin, wo ich als Grüner auch schon war. Ich habe mich nicht groß verändert. Die Partei hat sich anders entwickelt.

Gesetzt den Fall, Sie hätten Recht: Den Linken kann es zwecks Profilbildung doch nur nutzen.

Leymann-Kurtz: Richtig. Je mehr die die Grünen sich in eine breitbeinig staatstragende Rolle begeben und ihr sozialpolitischer Flügel abschmilzt, desto mehr eröffnen sich für uns Räume.

Wo genau liegt denn nun Ihre politische Marktlücke?

Leymann-Kurtz: Darin die Stadtgesellschaft nicht auseinanderfallen zu lassen. Wir machen die Spaltung in Arm und Reich, bildungsbenachteiligt und privilegiert, Nord und Süd mehr als andere zum Thema. Eigentlich sind das klassische sozialdemokratische Positionen. Ausgleich herzustellen bedeutet aber eben nicht, dass wir das Geld mit dem Füllhorn ausschütten. Es geht um soziale Gerechtigkeit, nicht um Wohltaten.

Wie deklinieren Sie soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Kommunalpolitik?

Leymann-Kurtz: Ich habe da keinen engen Begriff, Sozialpolitik ist auch Haushaltspolitik. Wenn man zum Beispiel 2500 Euro Zuschuss sparen will, und in Kauf nimmt, eine Initiative alleinerziehender Väter und Mütter zu schwächen, dann wäre das mit den Linken nicht zu machen. Ich verstehe auch nicht, warum die Stadt ausgerechnet drei Sozialgesellschaften, nämlich die Essener Arbeit und Beschäftigung (EABG) die Jugendhilfe und die Suchthilfe zusammenlegen will in der Heilserwartung, so eine Million Euro pro Jahr zu sparen. Das ist gar nicht erwiesen.

Man könnte argumentieren, irgendwann muss mal angefangen werden, das Dickicht der städtischen Tochterunternehmen zu lichten.

Leymann-Kurtz: Gut, aber warum ausgerechnet beim Sozialen, man hätte ja nach dem Alphabet vorgehen können. Aber man ging dahin, wo der geringste Widerstand zu erwarten ist. Andere städtische Gesellschaften bereiten uns außerdem viel mehr Probleme.

An welche denken Sie da?

Leymann-Kurtz: Ich frage mich, ob wir die städtische Grundstücksgesellschaft GVE eigentlich noch brauchen. Der Allbau macht eine exzellente Arbeit, die können doch genauso Gebäude und Grundstücke entwickeln.

Die GVE ist Bauherr beim Stadion. Vermutlich ist es kein Zufall, dass Sie gerade jetzt dieses Beispiel nennen.

Leymann-Kurtz: Ich gewöhne mich an den Schlendrian nicht, der beim Stadionbau deutlich wurde, dieses nachträgliche Korrigieren von Kosten. Sowas kenne ich eigentlich fast nur aus den alten Zeiten der Beton-SPD.

Was regt Sie so auf?

Leymann-Kurtz: Wir sind nicht gegen das neue Stadion, aber wenn manche Sportler eine tolle Ausstattung bekommen und die anderen in den kleinen Vereinen müssen ungeduscht nach Hause gehen, weil alles so schmutzig und kaputt ist, dann stimmen da die Relationen nicht. Bei der Stadionsache hat man versucht, an den Ratsgremien vorbei zu agieren. Die Politik hat etwas beschlossen, und wenn etwas anderes gewollt ist, dann muss die Politik eben noch mal beschließen. Ich bin sicher, wenn das ganze Ausmaß von Beginn an klar gewesen wäre, hätten nicht nur wir gegen das Projekt gestimmt. Diese Hintertürchen und die Fummeleien, die akzeptieren wir nicht. Auch das ist übrigens Sozialpolitik, denn dieses Geld fehlt eben woanders.

Möchten Sie die alte Ämterstruktur zurück, Stichwort Re-Kommunalisierung?

Leymann-Kurtz: Wenn ich sehe, dass die EABG drei teuer bezahlte Geschäftsführer hat, können solche Gedanken aufkommen. Die Jugendhilfe zum Beispiel könnte - was die Pflichtaufgaben offener Ganztag und Jugendhäuser betrifft - sofort zurück ins Jugendamt. Oder: Wofür brauchen wir ein Essener Systemhaus? Damit die am Markt operieren können, heißt es, aber das passiert doch faktisch gar nicht, die machen die EDV für die Stadt, so wie es früher als Stadtamt auch war. Letztlich sind die Ausgliederungen eine Folge des lange grassierenden neoliberalen Denkens, als privat gut war und öffentlich schlecht. Darüber sind wir hoffentlich hinweg. Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer.

Nämlich?

Leymann-Kurtz: Ich möchte die direkte Verantwortung zurück in den Rat holen. Nur der Rat ist demokratisch legitimiert, faktisch hat die Verwaltung deshalb viel zu viel Macht.

Aber die Aufsichtsräte der städtischen Gesellschaften setzen sich doch so zusammen, wie es den Kräfteverhältnissen im Rat entspricht.

Leymann-Kurtz: Aber mit einem Zwischenschritt, und der ist eben nicht mehr nötig.

Was macht Sie so sicher, dass der Rat auch bessere Entscheidungen fällt?

Leymann-Kurtz: Nichts. Vielleicht werden sie auch schlechter.

Das wäre aber nicht gut

Leymann-Kurtz: Aber die Bürger haben den Rat gewählt und ein recht darauf zu erfahren, wofür Politiker ihre Hand gehoben haben. Die jetzige Konstruktion verwischt Verantwortung. Geprügelt wird aber die Politik, auch wenn sie gar nicht beteiligt war. Das Beispiel Stadion ist doch eindrucksvoll. Der Rat beschließt dies, der Aufsichtsrat macht das, und im Hintergrund ziehen Vertreter städtischer Gesellschaften die Strippen. Diese Nebelwand möchte ich lichten, zumal ich eine neue auf uns zuwehen sehe.

Lassen Sie mich raten: Das muss die Messe sein...

Leymann-Kurtz: ...wie sind Sie darauf nur gekommen. Im Ernst: Das Viererbündnis hat erfolgreich die Sache mit den Bäumen in der Gruga konstruiert, und die Grünen dürfen sich jetzt als große Retter feiern. Das ist praktisch, denn jetzt muss man über die wahren Risiken nicht mehr reden. Die Messe - das wird noch teuer. Wir werden bei diesem Thema Kostensteigerungen erleben, dagegen ist das Stadion ein Klacks sind. Wir als Linke hätten uns gewünscht, dass andere Varianten stärker geprüft werden, etwa ein Zurückfahren des Messebetriebs auf eine regionale Variante, mehr Kooperationen. Aber was man nicht will, prüft man eben eher beiläufig, wenn überhaupt. Und das sage ich, obwohl wir nicht gegen die Messe sind.

Das soll man glauben?

Leymann-Kurtz: An dieser Stelle lobe ich mal eine unverdächtige Liberale. Vor vielen Jahren, noch vor der Bellini-Erweiterung, hat die damalige Essener FDP-Fraktionschefin Georgia Kaiser vorgeschlagen, die Messe auf Brachflächen im Norden neu zu bauen. Sie wurde ausgelacht. Heute wissen wir, es wäre der richtige Schritt gewesen. In Rüttenscheid ist alles viel zu beengt. Die Gruga-Freunde haben einen Pyrrhus-Sieg errungen mit der Rettung der 30 Bäume. Das wird ihnen noch aufgehen, wenn die Bauarbeiten beginnen.