Essen. . An der Graf-Beust-Allee öffnet am Samstag eine neue Kletterhalle von Guido Krautkrämer. Die Kletter- und Boulder-Szene wächst ständig, bestätigt die Sektion Essen des Deutschen Alpenvereins. Auch Mike Schuh, der 2004 in Essen die bundesweit erste Boulderhalle eröffnete, sieht einen wachsenden Markt.
Abgeseilt, die Hände klitschnass und endlich wieder festen Boden unter den Füßen: Fast höhnisch ragt die Kletterwand zehn Meter in die Höhe. Wo ein Profi vermutlich müde lächeln würde, geht einem Anfänger die Düse, ein Konglomerat überlebenswichtiger Fragen schießt durch den Kopf: Hält dieser Knoten, dieser sogenannte gegenläufig gesteckte Achter? Reißt das Seil auch ganz bestimmt nicht? Und warum ist der Erdboden so weit weg? „Das war Schwierigkeitsgrad Stufe drei von zehn“, sagt Guido Krautkrämer, „und das Seil hält zwei Tonnen aus.“ Das hätte er ruhig vorher sagen können.
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Der 37-Jährige lächelt gelassen und strahlt eine bemerkenswerte Ruhe aus. Seit Anfang der Neunziger hängt er in den Seilen, hat schon viele blutige Kletterdebütanten mit diesem Virus infiziert - dem ständigen Drang nach oben. Das trifft für den zweifachen Familienvater nicht nur in sportlicher Hinsicht zu. Der Essener gehört zu den ersten, die das Klettern im Ruhrgebiet kommerziell betreiben. 2005 eröffnet er, frisch nach dem Sportstudium in Essen und mitten im Referendariat, die erste Neoliet-Kletterhalle in Bochum - allen Unsicherheiten auf dem unerforschten Markt zum Trotz. Statt auf Banken als Geldgeber vertraut er auf den erfahrenen niederländischen Klettermeister Erik Jakobs - bis heute arbeiten die beiden zusammen. Im vergangenen März folgt die zweite Halle in Mülheim. Zeitgleich beginnen die Bauarbeiten an der Graf-Beust-Allee in Essen.
Krautkrämer trägt damit einem Trend Rechnung, den auch die Essener Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) bestätigt. „Die Szene hat sich explosiv entwickelt. Früher waren wir ein kleiner Kreis. Etwa drei Prozent unserer 3000 Mitglieder waren aktive Kletterer. Heute sind es mindestens 20 Prozent“, sagt Sibylle Bärsch, die vor gut 20 Jahren auch Guido Krautkrämer das Klettern beibrachte. Die „alten Hasen“ der Szene kennen sich. Gemeinsam trainierten sie im Kletterpütt an der Twentmannstraße, der 1997 eröffnete und seither ehrenamtlich betrieben wird. Bärsch sieht den Grund für den Erfolg vor allem in einer gesellschaftlichen Entwicklung: „Die Menschen suchen den Reiz des Exotischen. Mit Mannschaftssportarten kann nicht jeder etwas anfangen. Klettern erfüllt genau diesen Abenteuerreiz“, sagt Bärsch.
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Ein sicheres Abenteuer, wie Guido Krautkrämer betont. Bei ihm müssen alle eine Hallenordnung unterschreiben. „Unsere Kletterhalle muss man sich vorstellen wie ein Schwimmbad. Da geht man ja auch nicht rein, wenn man sich nicht über Wasser halten kann“, sagt Krautkrämer.
Basis ist Vertrauen
Drei Unfälle hat er in den vergangenen sieben Jahren erlebt, dabei sicherten sich die Kunden - die alle wieder wohlauf sind - falsch ab. Geklettert wird nur zu zweit, Vertrauen ist die Basis des Sports. „Deswegen eignen sich Kletterkurse ja auch so gut für Schüler- und Jugendgruppen“, sagt der Kletterprofi und schwärmt im gleichen Atemzug von einer Hauptschulklasse, die er vor Kurzem unterrichtete. „Man kann den Jugendlichen in zwei Stunden an der Wand mehr Selbstbewusstsein mitgeben als mancher Therapeut in zwei Monaten“, ist Krautkrämer überzeugt. Und auch die Gesundheit dankt’s: Vor Kurzem baute das Neoliet-Team noch eine Kletterwand im Reha-Zentrum Herdecke ein, das den Klettersport vor allem in der Rückenschule einsetzt.
Letzteren Positiv-Effekt sieht man den fleißigen Arbeitern in der Halle gestern an. Mit breitem Kreuz bringen sie die letzten Griffe in der noch von Staub und Bauschutt regierten Halle an, schwingen sich in schwindelerregende Höhen. Damit keine Langeweile aufkommt, werden einige der 240 Kletterrouten alle drei Monate ausgetauscht. Bis zu 17 Meter geht es in die Höhe, in zwei Schulungshallen erklimmen Anfänger zehn Meter hohe Wände. Angstschweiß und Erfolgsgefühl garantiert - wenn man sich traut.